Montag, 09 Dezember 2013

suisse-chineDie Welt braucht alle ihre Bauern

Es ist bedenklich, dass das am 6. Juli unterzeichnete Freihandelsabkommen zwischen China und der Schweiz sozusagen von allen politische Verantwortlichen nur nickend oder gar jubelnd durchgewunken wurde. Die zustimmende Haltung des Schweizerischen Bauernverbandes ist dabei noch unverständlicher. Während sich der Verband hierzulande für Versorgungssicherheit stark macht, hat er keine Angst sich bei gleichzeitiger Befürwortung dieses Freihandelsvertrages in unüberbrückbare Widersprüche zu verstricken. 

 

In der Schweiz besteht der agrarpolitische Glaubensatz des Bundesrates allem Menschenverstand zum Trotz nach wie vor im landwirtschaftlichen Freihandel. Obschon massloses Wachstum und schrankenlose Konkurrenz zerstörerische Auswirkungen auf die Bevölkerungen, Umwelt und die politischen Systeme haben. Dieses Freihandelsabkommen reiht sich an die 27 schon bestehenden Abkommen an. Dabei verliert die Bundeskasse an Steuereinnahmen welche andersweitig eingezogen werden müssen. Dann wird statt dem Aussenzoll der inländische Markt besteuert. Die Schweizer Steuerzahler täten gut daran, über die Konsequenzen dieser Freihandelsverträge nachzudenken. Die Zerstörung der industriellen Substanz Europas in diesem Prozess, ist eine massgebliche Ursache der Massenarbeitslosigkeit. China investiert währenddessen in europäische Infrastrukturen (zbsp Häfen) und Verarbeitungsindustrien (Fleischwaren, Milch, Konserven) und ist an vorderster Front im weltweiten Kampf um Kulturland.

Tatsache ist, dass die landwirtschaftspolitischen Entscheide Chinas auch die Schweizer Bevölkerung betreffen und dass es dringend notwendig ist, dass zumindest die bäuerlichen Organisationen die gefährliche Freihandelslogik kritisch betrachten und deren negative Wirkungen aufzeigen .

  In China leben 800 Millionen Bauern das heisst fast ein Drittel der Bauern der Welt. Obwohl China auf ein Erbe einer einst blühenden Landwirtschaft* zurückschauen kann, wird diese bäuerliche Hochkultur seit Längerem und im Speziellen seit der Reform ab 1978 systematisch zerstört und statt dessen eine industrielle Landwirtschaft aufgebaut. China ist nach wie vor eine Segregations-Gesellschaft, in welcher die Rechte der Bauern systematisch verletzt  werden, namentlich geht es dabei um : Kein Recht auf freie Interessensvertretung, kein Recht auf ökonomische Gerechtigkeit (willkürliche Steuerpolitik), kein Recht auf Zugang zu Boden (Vertreibungen), kein Recht auf Bewegungsfreiheit innerhalb Chinas (innerer Pass).

Trotzdem findet in China eine der weltweit grösste Migrationsbewegungen statt. In den letzten drei Jahrzehnten waren es 280 Millionen Bauern welche ganz oder teilweise die ländlichen Gebiete verlassen und als illegale Wanderarbeiter, ohne soziale Rechte, ohne Schulzugang für Kinder, in der chinesischen Exportindustrie arbeiten. Mit einer Bevölkerung von annähernd 1,4 Milliarden ist China der grösste Lebensmittelmarkt der Welt. Dabei hat China  9% der Süsswasserreserven und 8% der landwirtschaftlichen Nutzflächen.

In den letzten Jahren ist China zum weltweit grössten Soja und Maisimporteur geworden,um so eine billige Versorgung mit Geflügel- und Schweinefleisch der städtischen Bevölkerung zu garantieren. Die Fütterung von 700 Millionen Schweinen ist eine massive Herausforderung. Mit der Einfuhr riesiger Mengen an Soja als Futtermittel hat China dramatische Veränderungen ausgelöst.  Unter chinesischer Bestimmung wurden im Süden Lateinamerikas 30 Millionen Hektaren Land zu Monokulturen umgewandelt um billiges Futter zu produzieren. Die grössten Schweine und Geflügelbetriebe stehen in China. In diesem Zusammenhang steht der Preiszerfall dem die chinesischen Bauern gegenüberstehen. Diese Entwicklung hat Millionen von Bauern zur Hofaufgabe gezwungen und den Reichtum grosser  staatlicher Gesellschaften begründet.

Die Auswirkungen sind aber schon spürbar und verschärfen sich : Wasser- und Bodenverschmutzung, wachsende Treibhausgasemissionen, Antibiotikaresistenzen, Zerstörung der genetischen Vielfalt, Lebensmittelsicherheits- und Diätprobleme, chronische Krankheiten, medizinische Kosten im Zusammenhang mit Entstehens und Ausbreitung tierischer Krankheiten, Unterdrückung der Kleinbauern und die aufgehende Einkommensschere zwischen Reich und Arm. Dies sollten Gründe für einen Kurswechsel sein um langfristig und nachhaltig sowohl die Ernährungssicherheit als auch  das Bedürfniss nach Entwicklung zu sichern. Gemäss dem Weltagrarbericht ist « Weiter wie bisher » keine Wahlmöglichkeit. Es braucht Lösungen für eine produzierende, ökologisch nachhaltige und soziale Landwirtschaft. In Anbetracht der Land-, Wasser-, Klima- und Ernährungsprobleme liegt die Alternative in einer multifunktionalen, lokalen und kleinstrukturierten Landwirtschaft. Nicht nur in China müssen Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik die Rahmenbedingung der Märkte dahingehend ausrichten. Kleinbauern spielen eine Schlüsselrolle in Chinas Nahrungsmittelsystem und brauchen Unterstützung für eine nachhaltige Zukunftsentwicklung. Mit der Anerkennung dieser Tatsachen, statt blindem Freihandelsjubel, könnten sowohl der Bundesrat wie auch der Bauernverband ihren Teil zur Lösung dieser global bedeutenden Frage beitragen.

Rudi Berli, Gewerkschaftssekretär

*King, Farmers of Forty Centuries, Or Permanent Agriculture in China, Korea, and Japan (1911, Courier Dover Publications, ISBN 0-486-43609-8, and Rodale Press, ISBN 0-87857-867-6).

 

Rechte und Pflichten

Die Grenze als Garantie für einen gerechteren Handel

Die Ernährungssouveränität ist in Fragen zum internationalen Handel sehr klar. Sie bezweckt weder Selbstversorgung noch Autarkie, sondern einen fairen, internationalen Handel, der den lokalen Handel ergänzt.

Der Grenzschutz mit Zollrechten ist ein Instrument, das bisher immer sehr gut funktioniert hat und das alle Länder relativ leicht umsetzen können. Dieses Instrument wird heute verteufelt, denn die heutige Doktrin verlangt die Deregulierung der Märkte. Grundsätzlich haben aber alle Länder, ob Schweiz, Bolivien, China oder Mali, das Recht, sich gegen Importwaren zu schützen, die zu billig an ihre Landesgrenzen gelangen. Solch tiefe Preise sind oft die Folge von Sozial- oder Umweltdumping, wie im Beispiel China im obenstehenden Artikel. Die spottbilligen Importgüter stehen in direkter Konkurrenz zu unseren Produkten und können hier bei uns ganze Wertschöpfungsketten gefährden. Wenn wir solchen Produkten freien Zugang zu unserem Markt gewähren, heissen wir ein System gut, das Menschen und die Umwelt ausbeutet. Ob in China oder in der Schweiz, dieses Wirtschaftsmodell bedroht die bäuerliche Landwirtschaft mit kleinen Strukturen. Anders gesagt: Die chinesischen Bauern stellen für uns keine Bedrohung dar, dafür aber ein Wirtschaftsmodell, das uns zwingt, industrieller, grösser und billiger zu produzieren. Wir haben das Recht, uns dagegen zu wehren.

Mit Rechten kommen meist auch Pflichten. Unser Beitrag für einen gerechteren internationalen Handel ist, dass wir auf alle Exportsubventionen verzichten. Damit machen wir unweigerlich die Märkte anderer Länder kaputt. Aus diesem Grund haben wir uns gegen das „Geschenk“ von 20 000 Millionen von Doris Leuthard gewehrt, das unseren Milchmarkt während des Bauernaufstands von 2009 entlasten sollte. Wenn wir unsere Milchprodukte zu Preisen exportieren, die deutlich unter dem normalen Wert liegen, fallen wir unseren Berufskollegen in Kolumbien, Indien oder Senegal in den Rücken. Das ist moralisch nicht vertretbar.

Eine Initiative für Ernährungssouveränität muss deshalb die Frage des internationalen Handels aufnehmen und darf sich nicht allein auf Lösungen für den Inlandmarkt beschränken, ohne Rücksicht auf unsere Berufskollegen im nahen und fernen Ausland.

Ausserdem zeigt die Entwicklung des chinesischen Marktes deutlich, wie das aktuelle Wirtschaftsmodell zu Zweiklassenproduktion und -konsum führt: Die chinesischen Industriellen bauen in der Bretagne Milchverarbeitungsfabriken, um den reichen Chinesen Milchprodukte Made in France zu verkaufen, weil dessen Image besser ist, als das der chinesischen Milchprodukte. Umgekehrt verkaufen unsere Grossverteiler an die schweizerischen Working Poor chinesisches Fleisch von Poulets oder Schweinen, die mit Soja aus Lateinamerika gefüttert wurden. Uniterre sträubt sich mit allen Mitteln gegen die Auswüchse dieses Marktmodells.

Eine Initiative für Ernährungssouveränität bringt Lösungen für diese Misswirtschaft. Sie kann den verschiedenen Gesellschaften soziale Verbesserungen bringen. Die Schweiz kann diese Aufgabe natürlich nicht alleine meistern, aber die Bewegung von La Via Campesina umfasst über 170 Organisationen in 70 Ländern, die derzeit alle Projekte wie das unsere ins Leben rufen. Also sind wir nicht alleine.

Valentina Hemmeler Maïga, Gewerkschaftssekrätärin