Gehirntot des Milchsektors
Vor 10 Jahren hat in der Schweiz die dreijährige Übergangsphase für den Ausstieg aus der Milchkontingentierung begonnen. Fast gleichzeitig, nämlich 2007, wurde der Käsemarkt zwischen der Schweiz und der EU vollständig liberalisiert.
Wo stehen wir heute?
In 10 Jahren haben wir mehr als 25% der Milchproduzenten verloren. Die gesamte Produktionsmenge ist stetig gestiegen und die Menge pro Betrieb nahm erheblich zu. Der Preis für Molkereimilch ist von 70 auf 50 Rp. gesunken (-28%). Die Exporte sind in diesem Zeitrahmen um 41% angestiegen, während die Importe um 61% zunahmen. Die Bilanz ist negativ; die ersten, die darunter leiden sind die Bauernfamilien, weil sie ihre Produktionskosten nicht mehr decken und nicht mehr investieren können. Wer noch aktiv ist, ertrinkt in der Arbeit. Doch wie lange werden sie in diesem Desaster die einzigen Opfer bleiben? Derzeit ist das Angebot versplittert und in der Hand von mehreren Produzentenorganisationen, deren Konkurrenz den Abnehmern in die Hand spielt. Doch es darf bezweifelt werden, dass dieser „günstige Zustand“ noch lange andauern wird. Ein so kranker Milchmarkt kann langfristig für niemanden vorteilhaft sein. Die Praxis einiger Abnehmer, Milch für weniger als 10 Rp. einzukaufen, sie zu verarbeiten und die Verkäsungszulage des Bundes in die eigene Tasche zu stecken, anstatt sie den Bauern weiterzugeben, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist, scheint sich auszubreiten wie überkochende Milch.
Auf der anderen Seite bemühen sich die Branchenorganisationen, die Menge verkäster Milch zu beschränken, damit der Preis nicht zerfällt. Doch was geschieht mit dieser Milch? Wird sie trotz Beschränkung gemolken und zu welchem Preis wird sie verkauft? Im Handel tauchen neuerdings Faksimile der AOP-Käsesorten auf - im unlauteren Wettbewerb zu den zertifizierten Produkten. Unsere Schweizer Milch wird von einer Region in die andere transportiert, um die Fabriken der Verarbeiter am laufen zu halten. Schlussendlich wird sie zu einem so unanständig tiefen Preis verkauft, dass wir ihn lieber nicht nennen. Die Branchenorganisationen sind von dieser Misswirtschaft dermassen überfordert, dass wir, nach so vielen Jahren der Bemühungen um eine gerechte Regulierung von Seiten der Branchenorganisationen, die erstaunten Zeugen ihrer resignierten Haltung werden. Es scheint heute, dass kein Arzt mehr in der Lage ist, dem Milchmarkt eine palliative Pflege zukommen zu lassen.
Es scheint, als werde bereits das Testament eines Sektors geschrieben, der doch die Wirbelsäule der Schweizer Landwirtschaft ist. Bevor wir jetzt die Grabrede anhören und den Leichenschmaus auftischen, wäre es da nicht vernünftiger, alle Akteure dieses Sektors und auch den Bund als Vermittler (nicht als Totengräber) zu versammeln, um aus der Asche einen neuen Sektor zu erwecken? Nicht ein Milchgipfel wie auf dem Gurten, wo aus dem Elefanten eine Maus gemacht wurde, sondern ein intensives Treffen, wenn es sein muss über mehrere Tage hinweg, wo tragfähige Lösungen gefunden werden - den solche gibt es auf jeden Fall. Die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten werden es uns danken. Eine grosse Mehrheit wünscht sich, qualitativ hochwertige Milch aus der Region zu trinken, die tier- und umweltfreundlich produziert wird und auch den Bauernfamilien ein faires Einkommen garantiert.
Valentina Hemmeler Maïga
Übersetzung: Stefanie Schenk
Leitartikel des Journal d’Uniterre n°8 - Oktober 2016 (Ausgabe nur auf Französisch)