Was bitte ist zukunftsorientierte Landwirtschaft?
Am 4. Juli 2016 hat die Beratende Kommission für Landwirtschaft (BEKO) mitgeteilt, dass sie die vom Bundesrat beschlossene Ablehnung der „Initiative für Ernährungssouveränität - die Landwirtschaft betrifft uns alle“ und die „Hornkuh-Initiative“ grossmehrheitlich unterstützt. Sie betrachtet die Initiative „als nicht zukunftsorientiert für den Schweizer Agrar- und Lebensmittelsektor und weist auf die Gefahr hin, dass sich die Schweiz bei einer Annahme international isolieren würde.“ In der gleichen Mitteilung steht zu lesen, dass die BEKO „die verbesserte Schätzung der landwirtschaftlichen Einkommen„ begrüsst.
Lesen wir diese Mitteilung, so fragen wir uns doch, ob die „Grossmehrheit“ der BEKO auf dem gleichen Planeten lebt, wie die Schweizer Bäuerinnen und Bauern ... Tag für Tag verschwinden 3 Bauernhöfe; der Milchpreis ist von 80 Rappen (2008) auf 50 Rappen pro Liter gesunken; Schweinefleisch kostet soviel wie anno 1960; beim Getreidebau fragt sich so manch ein Bauer, ob er angesichts der fehlenden Rentabilität überhaupt noch säen soll. Nichtsdestotrotz ist die BEKO der Ansicht, dass gerade diese Situation zukunftsorientiert ist und dass es um die landwirtschaftlichen Einkommen gut bestellt ist.
Wir sollten wohl untersuchen, welche Interessenbindungen die Mitglieder der BEKO1 pflegen, die grossmehrheitlich den nachgelagerten Sektoren zugetan sind, aber das ist reiner Zeitverlust.
Wir müssen eine wichtige Frage stellen und wir hoffen auf eine rasche Antwort: Was versteht die BEKO unter zukunftsorientierter Landwirtschaft? Ich persönlich verstehe ihre Zukunftsvision nicht, abgesehen davon, dass sie weitermachen wollen wie bisher, mit dieser Politik, die uns alle, national und international, an die Wand fährt. Seit den 90er-Jahren haben wir in der Schweiz 45 % der Bauernhöfe verloren. Die Anzahl landwirtschaftlicher Arbeitsstellen ist in derselben Zeitspanne von 250 000 auf 150 000 Stellen zurückgegangen. Die Betriebe werden immer grösser, dennoch können die Bäuerinnen und Bauern kaum davon leben. Wir haben grosse Probleme mit Pestiziden und mit Antibiotikaresistenzen, um nur zwei zu nennen. Der Agrar- und Lebensmittelmarkt ist ein Dschungel, in dem nur noch die Grossverteiler etwas zu sagen haben. Wenn es in der Schweiz keine Bäuerinnen und Bauern mehr gibt, werden die Grossverteiler natürlich immer noch dafür sorgen, dass wir Nahrung erhalten - aus aller Welt, ohne dass wir, die wir den Frass essen müssen, etwas zu den Produktionsbedingungen zu sagen haben (GVO, Pestizide, Antibiotika, Tierschutz usw.).
Wir von der Initiative für Ernährungssouveränität wollen, wie auch unsere Kolleginnen und Kollegen in anderen Teilen der Welt, ein wirklich zukunftsträchtiges Projekt aufbauen, das eine rentierende, bäuerliche Landwirtschaft fördert und in allen Ländern der Welt gesunde Lebensmittel erzeugt. Uniterre ist Mitglied bei La Via Campesina, der internationalen Bauernbewegung, die weltweit über 300 Millionen Bäuerinnen und Bauern vereint. Das Argument der Isolierung, das die BEKO so unpassend vorbringt, hat absolut kein Fundament. Wir wollen keine geschlossenen Grenzen, sondern Grenzen, an denen unsere ethischen Werte umgesetzt werden. Wir sind für den internationalen Handel, sofern er nicht frei (sprich: ausser Kontrolle) ist und sekundär zur Inlandproduktion stattfindet. Wir fördern den fairen Handel sowohl im Inland als auch grenzüberschreitend. Doch wir müssen glauben, dass ein kontrollierter, transparenter Markt für gewisse Akteure der Lebensmittelkette nicht genügend Profit abwirft, sonst wären sie wohl nicht so frontal dagegen.
Dennoch sehen wir die Ernährung nicht losgelöst von allen anderen Akteuren dieses Sektors, Verarbeitung und Handel haben ganz bestimmt eine wichtige Rolle. Nur - ein System, das nur für einzelne Glieder der Wertschöpfungskette Profit abwirft, während die Bäuerinnen, Bauern, Landarbeiterinnen, Landarbeiter, Konsumentinnen und Konsumenten ausgenützt und irregeführt werden, so ein System ist nicht tolerierbar. Eine gerechte Verteilung des Mehrwerts gehört nicht ins Reich des Unmöglichen. Ein klein wenig Innovationsgeist und Offenheit ist doch nicht zu viel verlangt von einer Kommission, die den Bundesrat beraten soll.
Wer Ohren hat, zu hören ...
Valentina Hemmeler Maïga, Mitglied des Initiativkomitees
1 Mitglieder der BEKO: https://www.admin.ch/ch/d/cf/ko/gremium_10351.html
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Text der Kommission für Landwirtschaft:
Beratende Kommission für Landwirtschaft lehnt Volksinitiativen ab
Bern, 04.07.2016 - Am 29. Juni 2016 hat die Beratende Kommission für Landwirtschaft (BEKO) des Bundesrates ihre zweite Sitzung der Legislaturperiode 2016-2019 mit einem Besuch von zwei Landwirtschaftsbetrieben verbunden und dabei einen vielfältigen Einblick in die Praxis erhalten. Die BEKO unterstützt grossmehrheitlich die am 22. Juni 2016 vom Bundesrat beschlossene Ablehnung der „Ernährungssouveränitätsinitiative“ und der „Hornkuh-Initiative“. Zudem begrüsst sie die verbesserte Schätzung der landwirtschaftlichen Einkommen, fordert jedoch eine umfassende Betrachtung der Einkommenssituation der Bauernfamilien.
Die BEKO hat anlässlich ihrer 2. Sitzung zwei Landwirtschaftsbetriebe besucht und dabei einen vertieften Einblick in die landwirtschaftliche Praxis erhalten. Besonders interessiert hat sie sich für die herausfordernden Unternehmensentscheide beim Einstieg bzw. bei der Übernahme eines Betriebs.
Auf der Traktandenliste stand die Haltung des Bundesrates zu den im März 2016 eingereichten landwirtschaftlichen Volksinitiativen. Die BEKO unterstützt grossmehrheitlich die Ablehnung von beiden Initiativen ohne Gegenvorschlag. Die Initiative „Für Ernährungssouveränität. Die Landwirtschaft betrifft uns alle" betrachtet sie als nicht zukunftsorientiert für den Schweizer Agrar- und Lebensmittelsektor und weist auf die Gefahr hin, dass sich die Schweiz bei einer Annahme international isolieren würde.
Die Ablehnung der Initiative „Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (Hornkuh-Initiative)" begründet die BEKO damit, dass dieses Anliegen nicht in der Bundesverfassung geregelt werden soll. Sie hat Verständnis für das Anliegen der Initianten und anerkennt den höheren finanziellen Aufwand für behornte Tiere. Die Sympathie der Konsumenten für Tiere mit Hörner kann jedoch als Marktchance genutzt werden. Die Kommission teilt auch die Zweifel des Bundesrates betreffend der Frage, ob Hornbeiträge das Gesamttierwohl wirklich verbessern. Hornbeiträge könnten zu vermehrter Anbindehaltung führen. Die jährlich nicht unbeträchtliche Anzahl von Unfällen mit behornten Kühen ist ein weiterer Grund für die Ablehnung.
Die BEKO hat sich von Agroscope über die Auswirkungen des Systemwechsels bei der Erhebung der landwirtschaftlichen Einkommen informieren lassen. Die BEKO weist darauf hin, dass die insgesamt tiefer ausgewiesenen Einkommen auf zwei gegensätzliche Wirkungen zurückzuführen sind: Einerseits erhöht die neu eingeführte zufällige Betriebsauswahl die durchschnittlichen landwirtschaftlichen Einkommen pro Betrieb. Andererseits senkt die Anpassung der Buchungsregeln das Ergebnis signifikant. Die Kommission begrüsst grundsätzlich die Verbesserungen, da mit dem einfacheren System mehr Betriebe erreicht werden können. Sie hält zudem fest, dass die mit der neuen Methode berechneten tieferen Einkommen 2014 nichts mit der Einführung der Agrarpolitik 2014 - 2017 zu tun haben.
Adresse für Rückfragen:
Markus Zemp, Präsident Beratende Kommission für Landwirtschaft, Tel. +41 79 420 63 46
Bernard Lehmann, Direktor Bundesamt für Landwirtschaft BLW, Tel. +41 58 462 25 01
Herausgeber:
Bundesamt für Landwirtschaft
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