Seit dem EU-Beitritt und der Abschaffung der Quote gibt es in Polen weniger Milchbetriebe, weniger Kühe und mehr Milch. Doch nicht jeder einzelne Betrieb ist gewachsen.
PaulinaAntolak hat Tierzucht studiert und möchte den Hof
mit 21 Simmentaler-Milchkühen später übernehmen;
sie liebt die robusten und schönen Tiere dieser Rasse mit hoher Lebensleistung.
Der Hof der Familie Antolak liegt in Ogrodno, einem kleinen Dorf von 30 Einwohnern in Westpommern, 150km von Stettin entfernt. Bäuerin Alina und ihre Tochter Paulina (22) empfangen mich herzlich und führen mir stolz ihre 21 schönen Simmentaler Kühe vor. Sie stehen gerade auf der Weide, versammelt in der Nähe der grossen Raufe mit Heusilage. „Wir lassen sie jeden Tag raus ausser wenn es Schnee hat.“ Die Tiere sind zutraulich, neugierig kommen sie schauen. Alina Antolak erläutert: „2005 haben wir in Deutschland 16 trächtige Simmentaler-Färsen gekauft nachdem wir unsere Holstein-Herde wegen Leukämie schlachten mussten. Seither setzen wir nur noch auf diese Rasse. Die Tiere sind robust und gesund, geben zwar etwas weniger Milch, haben dafür aber eine hohe Lebensleistung.“ Fünf der Kühe von damals leben heute noch, die anderen sind Töchter. Durchschnittlich sieben Laktationen haben die Kühe auf diesem Hof und kalben alle im Frühjahr. Die durchschnittliche Milchleistung pro Kuh ist 7.750 Liter.
Untergebracht sind die Milchkühe in einem Anbindestall, der im Jahr 2000 gebaut wurde. Der Mist muss zwei Mal täglich per Hand weggeschoben werden. Gemolken wird mit drei Melkgeschirren und der Rohrmelkanlage. Auch das Futter wird per Hand vorlegt und zwar ungemischt. Es gibt jeweils nach dem Melken Heusilage aus einer Kleegrasmischung, Maissilage, Biertreber, Mineralstoffe, Vitamine und Salz. Heusilage und Mais sind vom eigenen Hof. Den Biertreber holt Roman Antolak einmal in der Woche mit dem Trecker von der Brauerei im Nachbardorf. Hinzu kommt das Gras, das die Tiere auf der Weide fressen.
Familienbetrieb: Direktzahlungen für Modernisierung
Familie Antolak bekam im letzten Jahr 28.000 Zloty an EU-Direktzahlungen, das sind etwa 7.168CHF. Dieses Geld fliesst direkt in die Finanzierung von Neuanschaffungen der letzten Jahre: zwei Trecker, ein Silageballenwickler, die Rohrmelkanlage und der Kühltank. Ausserdem wurde etwas Land gekauft. Das Ehepaar Antolak hat gerne investiert, denn so wird Tochter Paulina bei der Übergabe in ein paar Jahren schon eine gute Basis haben. Vier Jahre lang hat die tatkräftige junge Frau Tierzucht in Posen studiert. Erst kürzlich hat sie einen Besamungskurs absolviert. Für sie ist ganz klar, dass sie den Hof einmal übernehmen wird. „Unsere Molkerei Polmlek hat mir vorhin gerade ein SMS geschickt, dass die Preise bis Juni noch sinken sollen, für danach wisse man noch nicht. Da es im Sommer mehr Milch gibt, werden die Preise dann sicher nicht so schnell steigen. Doch das macht mir keine Angst.“
97 Groschen (25 Rappen) zahlt ihnen die Molkerei aktuell bei 4,6% Fett und 3,37% Eiweiss. Das ist weniger als im letzten Jahr (etwas über 1 Zloty - 26 Rappen), doch insgesamt hat der Hof die europäische Milchkrise noch nicht zu spüren bekommen. „Bei den grossen Betrieben ist der Milchpreisabfall viel stärker. Sie bekamen aufgrund des Mengenzuschlages mit 1,30 Zloty (33 Rappen) deutlich mehr; jetzt haben sie zum Teil nur noch 1,03 Zloty (gut 26 Rappen)“, erzählt mir Alina Antolak. Im Sommer bekommen auch sie einen Mengenzuschlag von 10 Groschen (2,5 Rappen). „Manchmal wird am Ende des Jahres noch eine Prämie ausgezahlt, dieses Jahr waren das 3.500 Zloty (896 CHF). Um unsere Produktionskosten zu decken brauchen wir 1,20 Zloty (30 Rappen) / Liter Milch.“
Strukturwandel nach Quotenwegfall
Der Wegfall der Quote in 2015 hat in Polen dazu geführt, dass viele kleinere Betriebe (3-6 Kühe) mit der Milcherzeugung aufhören, auch weil Molkereien nicht mehr bereit sind, sehr kleine Mengen abzuholen. „Das ist schade“, meint Alina Antolak, „denn so verlieren diese Erzeuger ein Einkommen, das im ländlichen Raum gar nicht so einfach zu ersetzen ist. Die Grossen wiederum haben vor allem über eine intensivere Fütterung und zum Teil auch durch die Aufstockung der Herden ihre Menge ausgeweitet, erhalten aber weniger Geld für ihre Milch als vorher. Das ist nicht gut, denn so sinken die Preise insgesamt.“ Zum Zeitpunkt des EU-Beitritts in 2004 lag die durchschnittliche Kuhzahl in Polen bei gut drei Kühen pro Betrieb, 2014 ist die Zahl bereits auf acht Kühe gestiegen und dieser Trend hat sich in 2015 mit dem Wegfall der Quote verstärkt fortgesetzt.
Die Antolaks denken nicht an Wachstum. Ihr Betrieb zählt mit 21 Kühen bereits zu den (mittel-)grossen Höfen. In 2014 - also dem Jahr vor der Abschaffung der Quote - gab es laut polnischem Milcherzeugerverband PFHBiPM insgesamt 285.700 Betriebe mit Milcherzeugung in Polen. 212.700 Betriebe hatten maximal neun Kühe, 57.100 der Betriebe 10-29 Kühe, und nur auf 825 Betrieben standen in diesem Jahr mehr als 100 Kühe. Zu diesen Grossbetrieben zählen auch die (ehemaligen) Staatsbetriebe. Hier in Westpommern ist es zum Beispiel die Farm Juchowo.
Sebastiaan Huisman, Visionär und Leiter von Juchowo,
und Monika Liberacka, die Verantwortliche für die Milcherzeugung,
sind voller Begeisterung, wenn sie von ihrer Arbeit mit den behornten
Holstein und Brown Swiss erzählen.
Stiftungs-Grossbetrieb mit viel Handlungsspielraum
Die Stanislaw-Karlowski-Stiftung ist Eigentümerin von Boden, Gebäuden, Tieren und Maschinen auf Juchowo und verpachtet diese an die GmbH Spółka Rolnicza Juchowo. Mit seinem neu gebauten Boxenlaufstall ähnelt der Betrieb auf den ersten Blick vielen modernen Grossbetrieben, wie bsp. dem Staatsbetrieb Galopol bei Poznan. Doch auf den zweiten Blick weist der biologisch-dynamisch bewirtschaftete, stiftungsgetragene Betrieb mit 1600 Hektar Land so einige Besonderheiten auf.
350 Milchkühe, 275 Jungtiere und 15 Bullen werden in hellen Ställen gehalten, in denen alles auf Tierwohl und Arbeitserleichterung ausgerichtet ist. Die Personalkosten sind dennoch nicht wesentlich niedriger als auf dem Hof von Familie Antolak. 18 Angestellte arbeiten allein für die Betreuung der Tiere und das Melken. Die 650 Tiere sind auf drei Ställe verteilt, die miteinander verbunden sind und alle einen Zugang zum Melkstand haben. Monika Liberacka (30), Verantwortliche für die Milcherzeugung, erläutert: „Kühe können in einer Herde nicht mehr als 100 andere Tiere erkennen. Das Wiedererkennen ist aber notwendig damit sie sich untereinander verstehen und nicht verletzten. Deshalb stehen bei uns maximal 100 Tiere zusammen in einer Herde.“ Die meisten Kühe auf Juchowo haben Hörner, sowohl die der Rasse Holstein als auch die der Rasse Brown Swiss, die sich in den Ställen bunt durcheinander mischen. Damit die Haltung der horntragenden Kühe im Boxenlaufstall gelingt, haben die Tiere mehr Platz als sonst üblich: je Kuh werden 15m2 gerechnet und die Gänge sind alle mindestens 4,50m breit. Die Mitarbeiter haben einen sehr bewussten Umgang mit den Tieren. Statt zu treiben versuchen sie die Kühe eher zu locken. Die gesamte Milch von Juchowo geht an die 200km entfernte Gläserne Molkerei in Deutschland. Der aktuelle Auszahlungspreis ist 54 Cent (59 Rappen) plus Mehrwertsteuer, was bei einem Wechselkurs von 4,3 Zloty pro Euro für einen Betrieb mit polnischen Erzeugungskosten ein interessanter Betrag ist. Sebastiaan Huisman, niederländischer Visionär und Leiter von Juchowo, beschreibt, dass die finanzielle Situation des Betriebes dennoch nicht einfach sei. „Die bisher getätigten Investitionen gehen in die Millionen und jedes Jahr stecken wir hohe Summen in die Verbesserung der Bodenqualität. Dies geschieht über den Anbau von Leguminosen und das Einbringen von Kompost, aber auch über das Anlegen von Teichen und die Anpflanzung von Hecken.“
Ich frage nach, was sich mit der Abschaffung der Quote für den Betrieb verändert hat. Sebastiaan Huisman antwortet kurz und knapp: „Nichts, ausser dass die konventionellen Bauern weniger Färsen von uns kaufen. Der Biomilchpreis ist aktuell noch gut.“
Bio-Gemischtbetrieb: Über die Grenze hinweg geht‘s leichter
Die Distanzen in Polen sind gross und viele Strassen nicht ausgebaut. Es mangelt an Infrastruktur, dadurch sind die Wege zum Absatz der Milch weit und die Milchbauern haben oft keine alternativen Liefermöglichkeiten, wenn die Kooperation mit der eigenen Molkerei nicht gut läuft. Familie Nowak vermarktet die Milch ihrer 32 Bio-Holstein-Kühe mit Erzeugungskosten von 1,50 Zloty (38 Rappen) aktuell für 96 Zloty (25 Rappen) an eine konventionelle Molkerei. Denn die Gläserne Molkerei hat sich seit ihrer Übernahme durch das Schweizer Unternehmen Emmi nicht mehr bei Familie Nowak gemeldet, obwohl bereits ein Vorvertrag geschlossen worden war. Emmi wächst nicht nur in der Schweiz - wie vor einiger Zeit bei der Napfmilch geschehen - über den Kauf kleinerer Molkereien. Die nächste polnische Biomilch verarbeitende Molkerei ist 300km entfernt. So finanzieren Nowaks ihre Milcherzeugung aktuell quer durch eine gute Wertschöpfung beim Verkauf von Getreide und Linsen nach Deutschland. Der Wert ihrer 160 Hektar Land ist seit 2009 fast um das Dreifache gestiegen (von 2.900 auf 7.700 CHF), weil der Bezug der Direktzahlungen für viele Landwirte interessant ist und weil der Staat sich durch das Festsetzen von Durchschnitts-Landpreisen gute Steuereinnahmen sichert. Doch Verkaufen kommt nicht in Frage: „Wir sind gerne Bauern und wollen unser Land selber bewirtschaften.“
Was hat sich mit dem Wegfall der Quote für Familie Nowak verändert? Wiesław Nowak: „Eine direkte Auswirkung gibt es nicht. Wir haben früher nie überliefert und auch jetzt unsere Menge nicht gesteigert. Allerdings scheint die Gesamtmilchmenge zu steigen und das bringt die Preise zum Sinken. Ob es real zu viel Milch gibt oder das Russlandembargo und die Mengensteigerung nur als Vorwand genommen werden, um die Preise zu senken, ist unklar.“ In Polen gibt es sie schon auch, die Vollgasmelker und Wachstumsliebhaber. Doch es scheint mir eine kleine Minderheit zu sein. Antolaks sind ein gutes Beispiel dafür, wie entscheidend es für Erfolg in der Landwirtschaft ist, ein zum Standort und zur Familie passendes und in sich schlüssiges Betriebsmodell zu finden. Das dann auch mit Leidenschaft von allen getragen und gelebt wird. Antolaks stehen mit ihren 21 Simmentalern gut da, sogar die Hofnachfolge ist gesichert.
Keiner der besuchten Betriebe füttert seinen Kühen Soja. Antolaks verwenden Mais und Biertreber, Nowaks füttern eine Mischung aus Hafer und Linsen und der biodynamische Grossbetrieb Juchowo setzt auf ein Heu mit 60% Leguminosenanteil, vor allem Klee und Luzerne. Auch hier - jeder Betrieb hat seinen eigenen Weg gefunden, und das ohne Rückgriff auf Importfuttermittel.
Text und Fotos: Sonja Korspeter
Milcherzeugung in Polen
Viertgrösster Milcherzeuger der EU nach Deutschland, Frankreich und Grossbritannien mit Landesmilcherzeugung von 11.750 Milliarden Liter Milch in 2005 12.950 Milliarden Liter Milch in 2015 davon gut 25 Millionen Liter Biomilch Durchschnittliche Kuhzahl / Betrieb in 2004: 3,8 - in 2014: 8 Gesamtzahl Betriebe mit Milchwirtschaft in 2014: 285.700 davon 212.700 mit maximal neun Kühen Zahl Molkereien: 198 Vier grösste Molkereien haben 40% Marktanteil Durchschnittlicher Auszahlungspreis in 2015: 27,65 Rappen/Liter Höhe Direktzahlungen konventionell: ca. 108 CHF/ha Höhe Direktzahlungen bio: ca. 193 CHF/ha Höhe Zahlungen Greening: 73 CHF/ha |
Grosse Unterschiede in der Milcherzeugung - Rohrmelkanlage mit drei Melkgeschirren bei Familie Antolak (21 Milchkühe) und Doppelzwölfer-Fischgrät-Melkstand auf Juchowo (360 Milchkühe).