Seit bekanntwerden der Verhandlungen im 2013 zu TTIP (Transatlantische Freihandels- und Investitions Partnerschaft) nimmt die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) mit dem Bündnis TTIP unfairhandelbar eine tragende Rolle des Protestes ein. Mittlerweile gehört die Opposition zu den stärksten aktuellen Bewegungen in Deutschland. Am 17. September 2016 haben wieder Hundertausende in 7 Städten demonstriert.
Von einer schrankenlosen Öffnung für den Freihandel wären auch die Bäuerinnen und Bauern in der Schweiz «am Härtesten» betroffen. Gemäss einer Studie der Hochschule für Agrar-, Forst und Lebensmittelwissenschaften (HAFL)* würde der Weizenpreis um 44%, der Schweinepreis um 42%, der Rindfleischpreis um 27% sowie der Preis für Geflügel um 29% einbrechen. Durch billigere Futtermittel würde allerdings zumindest eine teilweise Kompensation der Wertschöpfungsverluste aufgefangen, heisst es weiter. Der Wohlfahrtsverlust würde 587 Millionen jährlich betragen. Im Durchschnitt der 53’232 Schweizer Landwirtschaftsbetrieb hiesse das pro Betrieb jährlich einen Verlust von 11’027 Franken jährlich. Trotzdem hoffen Vertreter der Käse- und Fleischindustrie sowie der Schweizerische Bauernverband sowie Bio Suisse im Falle eines Beitritts der Schweiz zum TTIP auf positive Auswirkungen auf den Export und sind verhalten optimistisch.
Ein Interview mit Georg Janssen (Bundesgeschäftsführer der AbL).
Warum müssen wir uns als bäuerliche Interessenvertretung gegen TTIP und CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) wehren?
Georg Janssen: In der Auseinandersetzung in den geplanten Freihandelsabkommen geht es aus bäuerlicher Sicht um die Frage, ob internationale Agrarkonzerne oder die Zivilgesellschaft über die Zukunft unserer Lebensgrundlagen entscheiden. Wenn bei TTIP und CETA ein massiver Abbau der Zölle vorgesehen ist, bedeutet dies z.B. Marktzugang für noch mehr Milch und Fleisch auf den schon vorhandenen europäischen Überschussmärkten. Die Folgen wären ein massiver Preisverfall und wir Bäuerinnen und Bauern würden zu austauschbaren Rohstofflieferanten weltweit. Zudem würde der Druck auf die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in den ärmeren Länder in dieser Welt zunehmen. Wir müssen ebenfalls das in Europa vorherrschende "Vorsorgeprinzip" verteidigen, sonst riskieren wir eine Harmonisierung der Erzeugungsstandards, die z.B. der Gentechnik auf dem Acker und im Stall Tür und Tor öffnet, wie es die US-Verhandlungsdelegation und die Gentechnikkonzerne fordern.
Welche Erfolge hat die Bewegung in Deutschland und europaweit vorzuweisen?
Georg Janssen: Bei Gründung dieser kritischen Bewegungen vor drei Jahren hatten wir uns als Mindestziel vorgenommen, die Öffentlichkeit über TTIP und CETA zu informieren. Es kann nicht angehen, dass hinter verschlossenen Türen und in strenger Geheimhaltung vor der Zivilgesellschaft so weitreichende Abkommen beschlossen werden. In einer groß angelegten Informationskampagne sowohl in Europa als auch gerade in Deutschland haben wir es geschafft, TTIP und CETA auf die politische Tagesordnung zu setzen. Hunderttausende von Menschen gehen mittlerweile für einen gerechten Welthandel und für den Stopp von TTIP und CETA auf die Straße. Demokratie statt Konzernmacht und für ein Europa der Regionen sind grundlegende, inhaltliche Triebfedern in diesem Protest.
Wie wirkt sich die Bewegung auf die Forderungen der AbL aus? Bezüglich Öffentlichkeitswahrnehmung und Informationsfluss gegenüber der Bäuerinnen und Bauern ?
Georg Janssen: Seit drei Jahren organisiert die AbL zusammen mit anderen kritischen Verbänden Informationsveranstaltungen in den ländlichen Regionen. In den Kundgebungen und Aktionen zur katastrophalen Milchpreiskrise spielt auch mittlerweile das Thema Freihandelsabkommen eine wichtige Rolle. Die AbL fordert eine Qualitätsoffensive statt Agrarexportdumping. Mit der klaren Haltung der AbL gegen diese Freihandelsabkommen unterscheiden wir uns deutlich von der wankelmütigen Haltung der europäischen Bauernverbände (COPA) und der massiven Einflussnahme seitens der Agrarindustrie für den konzernfreundlichen Abschluss der Freihandelsabkommen. In einer Umfrage 2016 des größten Agrarmagazins in Deutschland unterstützten über 70 % der Berufskollegen unsere Position.
Wie gross sind die Chancen das TTIP doch noch gekippt wird und was wenn nicht?
Georg Janssen: Unsere Bewegung warnt davor, TTIP als ein "totgerittenes Pferd" zu betrachten, wie das einige namhafte Politiker in Deutschland zur Zeit tun, nur um dem Protest ein bisschen Wind aus den Segeln zu nehmen und gleichzeitig alles tun, um das CETA-Abkommen durchzusetzen. TTIP wird spätestens nach den US-Präsidentschaftswahlen wieder auf der Tagesordnung stehen. Deshalb ist es so wichtig, dass das CETA-Abkommen nicht vorläufig in Kraft gesetzt wird, um als industriefreundliche Steilvorlage für das TTIP-Abkommen zu wirken. Wir bleiben dran!
Uniterre und die Initiative für Ernährungssouveränität mobilisieren mit einem breiten Bündnis zur Grossdemonstration gegen TTIP/TISA & Co. am Samstag, 8. Oktober 2016 um 15 Uhr auf den Bundesplatz in Bern.
* Die von Migros, Nestlé und Economiesuisse und der Freihandels-freundlichen Interessengemeinschaft Agrarstandort Schweiz (IGAS) in Auftrag gegebene Studie «Auswirkungen einer breiten Marktöffnung auf die schweizerische Land- und Ernährungswirtschaft» mit 202 Seiten sind auf der Homepage www.igas-cisa.ch abrufbar. Mitglieder von IGAS sind übrigens auch IP Suisse, Bio Suisse, Suisseporcs und Mutterkuh Schweiz.
Weitere Informationen unter: www.ttip-unfairhandelbar.de
> dieses Artikel auf pdf - Uniterre Zeitschrift September 2016
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