Letzten September war eine Delegation von La Via Campesina in Genf, um den Organen der UNO ihre Forderungen zu überbringen. Wir haben diese Gelegenheit genutzt für ein Gespräch mit Diego Monton, Mitglied der einheimischen Bauernorganisation von Argentinien und der lateinamerikanischen Koordination von La Via Campesina sowie mit Sandra Moreno von der Landarbeitergewerkschaft Andalusien (SOC), die ihrerseits Mitglied der andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT) und von la Via Campesina ist.
Wofür kämpft ihr derzeit in Lateinamerika?
Diego Monton: In Lateinamerika kämpfen wir um das Land der einheimischen Bäuerinnen und Bauern und um die Verteidigung ihrer Gebiete. Mit Gebieten meinen wir nicht nur die landwirtschaftliche Fläche, sondern auch die kollektive Dimension. Ein Gebiet, das ist ein Netz aus menschlichen und kulturellen Beziehungen untereinander und mit dem Land und den Gemeingütern, wie dem Wasser. Wir setzten uns für eine Agrarreform ein und kämpfen für die Kollektivierung der Flächen und den öffentlichen Zugang zu den Gemeingütern. Es geht um das Land, das derzeit den Grossgrundbesitzern gehört (den Latifundia) und den grossen Brachflächen.
In diesem Kontext kämpfen wir für Ernährungssouveränität als Mittel, gemeinsam unsere eigene Nahrung anzubauen. Wir kämpfen gegen die Logik des internationalen, finanziellen Kapitalismus, der Monokulturen für den Export fördert. Sein Diskurs wird von allen Staaten, Medien und Universitäten in Lateinamerika übernommen; sie stellen die Industrialisierung der landwirtschaftlichen Produktion als Fortschritt dar.
In ganz Lateinamerika haben wir ähnliche Probleme, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. Unser Kampf ist eng mit dem Kampf der indigenen Völker verbunden, die vom Land leben. Besonders in Zentralamerika, in Guatemala sind die meisten Bäuerinnen und Bauern Mayas. In Chile ist die Situation ein wenig anders, auch in Argentinien, Uruguay und Brasilien. Dort gab es immer eine starke Immigration, was bewirkt, dass die politischen Kämpfe nicht ganz dieselben sind.
Und in Andalusien?
Sandra Moreno: In Andalusien haben wir ähnliche Schwerpunktthemen wie in Lateinamerika. Meine Gewerkschaft, die SOC, war eine der Ersten, die nach dem Fall der Diktatur von Franco 1975 gegründet wurde. Es ist eine Gewerkschaft für die Landarbeiter/ innen. Wie in Lateinamerika ist das Landeigentum in Andalusien stark konzentriert; Schätzungen besagen, dass zwischen 80 und 90 Einheiten (Familien und Unternehmen) rund 70 % der Flächen besitzen. Die Figur des Grossgrundbesitzers ist auch bei uns sehr präsent.
Aus diesem Grund ist der Schwerpunkt von SOC-SAT ebenfalls der Zugang zu Land. Wir machen direkte Aktionen, also wir besetzen Land. Oft ist es Brachland, das entweder einem Grossgrundbesitzer oder dem Staat gehört, darunter fallen viele Militärgelände. Aus solchen Landbesetzungen entstehen oft Produktionsgenossenschaften, so können die Beziehungen zwischen den Arbeiter/ innen erhalten und die Produkte vor Ort verarbeitet werden, anstatt direkt in den Export zu gehen.
Unsere Hauptforderung ist, dass das Land denjenigen gehört, die damit arbeiten. Wir fordern ausserdem einen würdigen Zugang zu drei weiteren Lebensgrundlagen, nämlich „ein Dach, Brot und Arbeit“. Das ist für viele nicht gegeben. Taglöhner/ innen mit saisonalen Arbeitsstellen haben keinen Zugang zu den Sozialleistungen des Staates, ausser, sie können eine bestimmte Anzahl Arbeitstage pro Saison belegen. Ihre Situation ist sehr prekär, denn Schlechtwetterperioden können auch während der Saison zu Arbeitsausfällen führen. Ganz zu schweigen von älteren Arbeitern oder Frauen, die nicht regelmässig arbeiten können. Oft reichen die Tage nicht aus, um ausserhalb der Saison Sozialleistungen zu beziehen.
Wie verbindet ihr diese Kämpfe mit anderen Forderungen?
Sandra Moreno: Mir ist die Verbindung mit den Frauenrechten sehr wichtig. Die Frauen erledigen dreimal so viel Arbeit: sie produzieren, machen den Haushalt und übernehmen die ganze Pflege (Kinder und Alte). Das ist eine enorme Belastung. Hinzu kommt, dass die Arbeitszeiten in der Landwirtschaft so unregelmässig sind, die Arbeitstage sind sehr lange und die Frauen werden öfters Opfer von Gewalt. Man muss sich vorstellen, was das heisst, die Nacht in den Baracken der Landwirtschaftsbetriebe zu verbringen. Da ist man sehr ausgeliefert.
Ausserdem sind die Frauen sozusagen nie Landbesitzerinnen. Das Land gehört den Männern, was bei Scheidungen oder Witwentum enorme Probleme mit sich bringt. In Galizien ist es anders, da besitzen Frauen oftmals ein wenig Land. Leider sind die europäischen Subventionen auf die Anzahl Hektaren ausgerichtet, so erhalten kleine Höfe nichts, während die industriellen Betriebe sehr gut dastehen. Auf die Dauer verlieren diese Frauen ihr Land und die Zahl der ausgebeuteten Landarbeiterinnen steigt noch mehr an.
Diego Monton: In Lateinamerika ist die Situation der Frauen auch sehr schwierig. Sie sind sehr isoliert und erleiden verschiedene Arten der Gewalt, auch physische. Das erschwert ihre Teilnahme an kollektiven Aktionen, besonders auch, weil die Strukturen sehr patriarchal sind. La Via Campesina versucht, solche Fragen zu behandeln. Wir versuchen auch, die Rechte der sexuellen Minderheiten ganz allgemein zu stärken, allerdings mit sehr wenig Erfolg.
Wie werden Migrantinnen und Migranten in die Bewegungen eingebunden?
Sandra Moreno: Solange die Arbeitsbedingungen in Afrika oder anderswo so unwürdig sind, wird es Migration geben. Es ist eine Tatsache, dass in der Landwirtschaft viele Migrant/ innen arbeiten und dass sie systematisch diskriminiert werden. Wir von der SOC-SAT vertreten die Ansicht, dass Migrant/ innen dieselben Rechte haben wie wir und wir integrieren die Vertretung/Verteidigung der Migrant/ innen systematisch in unsere Arbeit ein.
Was erwartet ihr von den Kontakten zu den Ländern im Norden?
Diego Monton: Die internationale Solidarität ist sehr wichtig. Es geht zuerst um die Kenntnisnahme, dass das hohe Lebensniveau in Europa auf der Ausbeutung von Ressourcen und Arbeiter/ innen in anderen Teilen der Welt beruht. Also müssen wir gegen die internationalen Finanzzentren kämpfen, die ihren Sitz bei euch haben. Wir müssen die Logik des internationalen Finanzkapitals verstehen, das unsere Probleme verursacht. In Brasilien investieren europäische Unternehmen zum Beispiel massiv in Monokulturen für die Papierproduktion. Das Papier ist für den Export bestimmt und wird auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion für das Inland produziert. Das betrifft auch Schweizer Unternehmen wie Holcim oder Nestlé, das in Kolumbien boykottiert wird. Syngenta wurde kürzlich in Brasilien für die Ermordung mehrerer Landarbeiter/ innen verurteilt.
Sandra Moreno: Die SOC wird in Andalusien regelmässig als kriminell dargestellt, wegen unserer Aktionen, namentlich wegen der Landbesetzung. Mehrere hundert unserer Mitglieder werden strafrechtlich verfolgt, die Polizei wird gesandt, um das besetzte Land zu „befreien“. Es ist wichtig, dass unser Kampf auf internationaler Ebene bekannt wird; wir müssen die Welt darüber informieren, was in Andalusien passiert. Einer unserer Anführer von der SOC, Andrés Bódalo, ist derzeit im Gefängnis. Wir haben seit über sechs Monaten mobilisiert, um diese Situation bekannt zu machen, aber das ist schwierig ohne internationales Netzwerk. Aus diesem Grund haben wir seinen Fall kürzlich vor der UNO angesprochen und eine Petition lanciert.
Interview geführt von Antoine Chollet und Arnaud Thièry
Übersetzung: Stefanie Schenk
Veröffentlicht in: Pages de Gauche n°159 Oktober 2016 und Journal d’Uniterre Dezember 2016
Die Petition für Andrès Bódalo ist online auf www.indultobodalo.info. Wir möchten alle Leserinnen und Leser auffordern, die Petition aus Solidarität zu unterschreiben.