Wenn wir quer durch die Schweiz von Genf nach Romanshorn fahren, sind die Felder übersät von Schildern mit der Aufforderung, 2 x NEIN zu stimmen. Die Stimmberechtigten sollen eine Vorstellung von der Geschlossenheit des Bauernstandes bekommen, die beiden ihn betreffenden Initiativen am kommenden 13. Juni abzulehnen.
Diese Initiativen sollten für uns eine Gelegenheit sein, unser Berufsverständnis zu hinterfragen und unsere Ziele neu zu überdenken. Die Art und Weise, wie wir uns an Gewissheiten klammern ist nicht geeignet, die Problematik in der Landwirtschaft im Sinne der Bevölkerung zu lösen. Logischerweise hätte die Initiative gegen den Einsatz von Pestiziden von den Bäuerinnen und Bauern selbst ausgehen müssen. Wir kennen die Schädlichkeit der von uns verwendeten Produkte für die Umwelt und Vielfalt besser als jeder andere und sind uns der Forderungen der Bürger*innen dieses Landes bewusst. Von uns wird verlangt, die Verwendung giftiger Substanzen strenger einzuschränken oder ganz zu vermeiden. Wir haben die Möglichkeit, uns von der agrochemischen Industrie zu distanzieren, die uns nur zu gerne die Schuld an den Umweltschäden zuschiebt, obwohl sie uns die Unbedenklichkeit ihrer Produkte garantiert hat. Unsere Position als Opfer und zugleich Mitverantwortliche ist besonders unbequem und zwingt uns damit, eine Seite zu wählen. Wenn wir bei so wichtigen Themen unter dem Vorwand der extremen Formulierung zu "Neinsagern" werden, wird diese Position wahrscheinlich noch lange unserem Image erheblichen Schaden zufügen.
Es wäre besser gewesen, ein Bündnis mit der Bevölkerung einzugehen, als mit der chemischen Industrie und den von der Wirtschaft stark beeinflussten politischen Institutionen, die uns nicht unbedingt Gutes wollen! Es reicht schon, wenn man bedenkt, wie leichtfertig uns bundespolitische Entscheidungen regelmäßig herausfordern, indem sie uns im globalen Wettbewerb, insbesondere durch Freihandelsabkommen, wehrlos machen.
Es stimmt, dass unser Berufsstand große Anstrengungen zum Schutz der Umwelt unternommen hat (ökologische Ausgleichsflächen, Reduzierung des Einsatzes von Pestiziden usw.), aber jedes Mal unter dem Zwang von Maßnahmen aus der Agrarpolitik und nicht aufgrund unserer eigenen Initiative. Wir haben die unglückliche Tendenz zu denken, dass wir die einzigen sind, die das Sagen haben und dass wir allein wissen, was auf unserem Land richtig und gut ist.
Ich hoffe, dass diese Pestizid-Initiativen angenommen werden, um uns die Chance zu geben, den verlorenen Dialog wiederherzustellen. Dieses Mal aber aktiv. Wir sollten diesen Dialog nutzen, um den besten Weg zu definieren, um uns selbst und unsere Rolle und Mission mit all den Strömungen in unserer Gesellschaft neu zu erfinden. Es gilt, diesen Dialog zu akzeptieren, unterstützt von der Forschungsgemeinschaft, deren Leistung bekannt ist. Dieser Ansatz muss als ein Reichtum betrachtet werden, den es zu entdecken gilt, und nicht als eine Einschränkung, unter der man leiden muss.
Es liegt an uns, die Relevanz eines Slogans zu zeigen, der uns am Herzen liegt: "Gut, gibt’s die Schweizer Bauern". Das muss mehr sein als ein Slogan, denn wir wollen gehört werden, hören aber zu selten auf andere. Es ist die Allianz mit der Zivilgesellschaft, deren Recht es ist, zu entscheiden, welche Art von Landwirtschaft sie will, die uns die besten Überlebenschancen geben wird, anstatt nur dem politischen Spiel zu vertrauen, wo wir meistens instrumentalisiert werden. Die Agrarpolitik (AP), die uns seit fast 20 Jahren aufgezwungen wird, muss sich ändern, damit sie das Ergebnis einer breiten Debatte mit den Landwirt*innen und allen betroffenen zivilen Organisationen wird und nicht das Ergebnis von Technokraten des BLW mit fragwürdigen Einflüssen.
Hinzu kommt, dass die massive Offensive von Big Tech (1), wie die GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple) mit großer Geschwindigkeit ihr Netz webt. Sie beabsichtigen, die weltweite Landwirtschaft unter ihre Fuchtel zu bringen, indem sie subtile Dienstleistungen aller Art in Echtzeit anbieten (Wetter, Markt, Behandlungen, Beratung, Bankwesen...), aber eine unumkehrbare Abhängigkeit von ihrem System schaffen.
Unser Überleben in der Landwirtschaft hängt davon ab, dass wir unsere Bündnisse sorgfältig auswählen, wenn wir unsere Unabhängigkeit bewahren wollen und uns damit in den Dienst der Gemeinschaft stellen.
Ein Ja zu dieser Initiative könnte eine totale Überarbeitung und ein Überdenken der derzeitigen Vorstellung unserer Behörden von der Rolle der Landwirtschaft in unserer Gesellschaft ermöglichen. Die Rolle einer Landwirtschaft, die als wesentlicher Teil des Gemeinwohls zu begreifen ist: Von ihrer Fähigkeit, gesunde Lebensmittel zu produzieren und von der Art und Weise, sie langfristig zu erhalten, indem man sie aus allen politischen und wirtschaftlichen Verhandlungen herausnimmt und das soziale Gefüge der Bauernschaft in allen Gegenden unseres Landes stärkt. Diese Neudefinition kann nicht ohne die Zustimmung derjenigen stattfinden, für die sie bestimmt ist. Die Bäuerinnen und Bauern werden sich für die Förderung einer neuen Rolle verantwortlich zeigen, unter der Garantie, dass ihre Rechte, einen angemessenen Lebensunterhalt zu verdienen, gewährleistet sind.
Alexis Corthay, Bauer auf La Touvière bei Genf.
1. Lesen Sie hierzu den in Le Courrier am 2. Mai 2021 veröffentlichten Artikel mit dem Titel: L'agriculture sous contrôle numérique (Landwirtschaft unter digitaler Kontrolle), der auf einer Analyse der NGO GRAIN beruht.
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Innerhalb von Uniterre haben wir während verschiedener Diskussionen eine Reihe von Gedanken und Ideen gesammelt, die wir mit unseren Mitgliedern und Unterstützer*innen teilen möchten. Damit soll die Debatte breiter werden und unsere Bewegung den dringend notwendigen Schub bekommen: Für eine bäuerliche Landwirtschaft, die in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht wertvoll und nachhaltig ist.