Getriebene !
Handel gibt es, seit es Menschen gibt: Kreditgeschäfte und erst später das Münzgeld begründen die heutige Schuldenwirtschaft. Der Mensch wurde zur Konsument*in, später zu Schuldner*in gemacht. Produziert wird rund um die Uhr, Waren werden um den ganzen Planeten transportiert und schlussendlich konsumiert. Wenn da Sand – oder ein Coronavirus – ins Getriebe kommt, ist der Teufel los. Ganze Branchen sind gefährdet oder gehen Pleite. Jetzt, nach 6 Monaten Lockdown, soll der Staat retten, was noch zu retten ist: Die Swiss, die gar keine Schweizer Airline mehr ist, Kurzarbeit für das Gewerbe und das Hoffen auf weitere Unterstützung. Viele Konzerne, wie Sulzer oder Schindler, haben aufgrund gesunkener Gewinne bereits Entlassungen angekündigt, andere verlegen ihre Produktion in Billiglohnländer. Schwer trifft es in der Schweiz die rund 200’000 Beschäftigten in prekären Arbeitssituationen wie Zeitarbeit und Arbeit auf Abruf, z.B. in der Gastronomie, Hotellerie und im Reinigungsgewerbe.
Die Weltenuhr tickt plötzlich anders. Nehmen wir das Auto oder den neuen Traktor als Beispiel. Würde der bisherige nicht noch locker weitere 10 Jahre seinen Dienst tun? Was, wenn alle den Kauf verschieben würden? Katastrophe! Es gingen blitzschnell viele Arbeitsplätze verloren. Anderes Beispiel: Die Schweizer Bevölkerung will nicht noch mehr Käse essen. Es wird mehr als genug produziert, zusätzlich kommt sehr viel Käse aus der EU in die Schweiz, also exportieren wir die Überschüsse. Ein Grund weshalb der Schweizer Bauernverband in der Regel am Schluss jedes Freihandelsabkommen durchwinkt, denn der Käse muss ja irgendwo «verbraucht» werden.
Entschuldigt die drastische Vereinfachung. Die eigentliche Frage, wie es zu dieser ungesunden Überproduktion in der Landwirtschaft kommt, darf nicht länger ein Tabu bleiben.
Auch die Schweizer Wirtschaft ist auf der Suche nach neuen Absatz- und Wachstumsmärkten z.B. in Indonesien und in den Mercosur1-Staaten gelandet: Bedienen, erobern, um die Überschüsse loszuwerden. Wie in Zeiten des Kolonialismus. Neue Erdteile wurden „entdeckt“, erobert, kolonialisiert und die Menschen vor Ort versklavt. Heute geht es vornehmer mithilfe von bilateralen oder multilateralen Freihandelsabkommen. Diese führen heute in den betroffenen Ländern weder zu mehr Wohlstand noch zu mehr Zufriedenheit, im Gegenteil. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) kommt in seinen Studien zum Schluss, die ökologischen und ökonomischen Agrarauswirkungen in der Schweiz2und in den Mercosur-Ländern seien gering. Das ist zu kurz gegriffen, denn die Schweiz ist Teil eines Systems, einer weltweiten Konkurrenzwirtschaft, angetrieben von einer ungesunden Wachstumsspirale. Das macht uns zu Getriebenen dieses Systems und das hat sehr wohl grosse Auswirkungen auf die Menschen, auf die Umwelt und aufs Klima. Wir glauben nicht an Wirtschaftswunder, sondern daran, dass wir uns kritisch und entschlossen gegen weitere Freihandelsabkommen stellen müssen.
1 Mercosur Vollmitglieder: Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay
2 Im Rahmen der EFTA: Norwegen, Island, Fürstentum Lichtenstein, Schweiz
Ulrike Minkner, Bäuerin und Sekretärin Uniterre