Donnerstag, 27 Mai 2021
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Am 7. Mai 2021 meldete SRF news 55% JA-Stimmenanteil für die Pestizid Initiative (PEI) und 54% JA für die Trinkwasser Initiative (TWI). Gut 5 Wochen vor dem Abstimmungstermin ist das erfahrungsgemäss zu knapp. Allenfalls droht auch ein ähnlicher Ausgang wie bei der Konzernverantwortungsinitiative. Es gibt zwar ein Volksmehr, aber die Initiativen scheitern am Ständemehr.

Nach der Nein Parole der Bio Suisse zur TWI und dem verunglückten Auftritt von Urs Brändli (Präsident Bio-Suisse) im Kassensturz gingen die Wogen hoch und haben sich noch nicht wieder gelegt. Dass die Bio Suisse schon im Herbst die Ja-Parole für die PEI beschlossen hat, geht dabei etwas unter. Ich selber war über die Nein-Parole zuerst ebenfalls irritiert. In der Folge habe ich mich vertieft mit der Thematik auseinandergesetzt und mit diversen Leuten (auch mit Urs Brändli) kommuniziert.

Ich kann die Argumente gegen die TWI nachvollziehen. Die TWI nimmt einzig die Bauern/Bäuerinnen in die Pflicht und erlaubt es andererseits, dass diejenigen Landwirt*innen, die auf Direktzahlungen verzichten, weiterhin Pestizide spritzen können. Die PEI hingegen will, dass auch Lebensmitteln, die importiert werden, ohne Pestizide produziert werden und hat somit einen umfassenderen Ansatz. Auch sollen nach einer Übergangsfrist von 10 Jahren sämtliche synthetische Pestizide verboten sein und bleiben.

Ein Teil der Bäuerinnen und Bauern wird bei Annahme der TWI auf Bio umstellen. Die Aussage von Urs Brändli im Kassensturz, wonach die Preise für Bio Milch sinken würden, wurde skandalisiert. Es war von Gier die Rede und von Verrat an der Bio Bewegung.

Der Auftritt von Urs Brändli im Kassensturz war eine Katastrophe. Der Dachverband der Bio -Bewegung fürchtet mehr Bio? Das darf ja wohl nicht wahr sein! – Die Bio-Suisse, ihr Vorstand und eben Urs Brändli haben einen kommunikativen Supergau produziert und die Tragweite ihrer Aussagen zum Milchmarkt total unterschätzt. Ich bin eigentlich immer noch fassungslos, dass man derart blöd sein kann. Nie und nimmer darf ein Bio-Funktionär sagen, dass er Angst vor zu vielen Umsteller*innen hat. Es scheint, dass die intensive Beschäftigung mit Marktthemen, die Geister an der Peter-Merian-Strasse in Basel vernebelt hat.

Dabei hätte man es durchaus anders angehen können! Denn die Gefahr, dass viele Betriebe aus der IP oder Label-Produktion aussteigen und noch intensiver produzieren, ist bei Annahme der TWI real. Eine solche, zusätzliche Segmentierung der Landwirtschaft ist aber unerwünscht und schädlich. Wir brauchen Lösungen, die alle einbeziehen. Wir wollen auch keine Betriebe, die noch intensiver produzieren, als sie es heute schon tun. So könnte es unter dem Strich tatsächlich soweit kommen, dass bei Annahme der TWI ein Minus für die Ökologie resultiert.

Man muss der Bio Suisse hingegen zugutehalten: Viele Konsument*innen finden zwar Bio gut, doch beim Einkauf greifen sie dennoch ins Billig-Regal. Es gibt leider einen grossen Graben zwischen dem Wunsch nach Bio und dem tatsächlichen Verhalten im Laden. Die Zeiten, als es zuviel Bio-Milch gab und diese konventionell vermarktet werden musste, sind nicht vergessen.

Viele Bioprodukte sind deutlich teurer als vergleichbare konventionelle Lebensmittel. Daran tragen natürlich auch die Grossverteiler ihre Schuld. Es gibt dafür verschiedene Gründe (Handel, Margen, Logistik, Mengen, etc.) auf die einzugehen ich gerne verzichte. Einen anderen Grund möchte ich dafür herausstreichen: Die externen Kosten der (konventionellen) Landwirtschaft werden nirgends bilanziert. Also die Belastung von Böden, Luft, Wasser, Klima. Der Co2-Ausstoss, der Artenschwund wie auch die Zerstörung der Landschaften.

Der Bio-Landbau schneidet in dieser Hinsicht deutlich besser ab. Es kommt dazu, dass die Lebensmittel generell zu billig sind. Würden die externen Kosten der konventionellen Landwirtschaft auch nur annähernd berücksichtigt, müssten die Bio-Lebensmittel im Laden eigentlich günstiger als die konventionellen sein.

Die TWI will, dass nur betriebseigenes Futter an die Nutztiere verfüttert wird. Es wird darüber gestritten, was das genau heisst. Kann man kein Futter mehr beim Nachbarn kaufen? Die Initiantin meint, dass Futter aus der CH weiter handelbar sein werde. Sicher ist, dass bei Annahme der TWI , diejenigen Betriebe, die Direktzahlungen beziehen wollen, kein importiertes Tierfutter mehr verfüttern können. (Auch hier gilt eine Übergangsfrist)

Schweizer Futtermittelimporte – Entwicklung, Hintergründe, Folgen (zhaw.ch)

Jahr für Jahr wird der Ertrag vom 200 000 ha Ackerland im Ausland, an Nutztiere in der Schweiz verfüttert. (Soja, Mais, Weizen etc.) Die Folgen sind bekannt. Zuviel Nitrat im Grundwasser, Seen die seit Jahrzehnten belüftet werden müssen, überdüngte Wälder und einheitsgrün auf den Güllewiesen mit dramatischen Folgen für die Fauna. Diesen Teil der TWI unterstütze ich ohne Wenn und Aber. Die Futtermittelimporte sind ein Unding und müssen verboten werden. Der oben erwähnten Text zu den Futtermittelimporten ist eine gute Zusammenfassung der aktuellen Situation. (2 Seiten) Es wird darin auch eine Behauptung von Markus Ritter (Präsident Bauernverband) widerlegt. ( M.R. >Die Schweiz produziert 84% des Tierfutters selber. )

Doch auch hier gibt es einen Haken bei der TWI. Betriebe, die auf Direktzahlungen verzichten, können weiterhin importierte Futtermittel verfüttern. Wie viele Betriebe das sein werden ist schwierig abzuschätzen. Grundsätzlich ist es so: Je intensiver ein Betrieb produziert, desto weniger ist er auf Direktzahlungen angewiesen.

Sehr oft wird davor gewarnt, dass bei Annahme der Initiativen, die Importe von Lebensmittel steigen würden und damit die Abhängigkeit vom Ausland noch grösser würde. Doch was sind Futtermittel anderes als Lebensmittel, und wieso soll diese Auslandsabhängigkeit etwas anderes sein? Fakt ist: Die Schweiz ist in vielfacher Hinsicht vom Ausland abhängig. Natürlich betrifft das nicht nur die Landwirtschaft.

Bei Annahme der Initiativen sinke die Lebensmittelproduktion in der CH je nach Katastrophenszenario um 30-40%, wird uns zu wissen gegeben. Ich halte das für krass übertrieben. Doch selbst wenn es so wäre, so brauchte man nur den Foodwaste zu verhindern, der in vielen Bereichen extrem ist und mindestens in dieser Grössenordnung liegt.

SAVE FOOD, FIGHT WASTE

Ebenfalls wird davor gewarnt, dass wir die Produktionsbedingungen von importierten Lebensmitteln nicht kontrollieren können. (Tierfabriken, Pestizide etc.) Ein Argument, das meiner Meinung nach nicht sticht. Gerade im Bio Bereich wird im Ausland seit Jahren vieles nach Knospe Richtlinien produziert. Das ist nicht immer problemlos, aber es funktioniert.

Ich denke, viele Landwirt*innen im Ausland würden sehr gerne nach CH Richtlinien produzieren, weil die Schweiz auch in der Lage ist einen guten Preis dafür zu bezahlen.

Zu guter Letzt noch einige Sätze zu den Arbeitsplätzen. In der in der CH Landwirtschaft arbeiten heute noch etwa 150 000 Menschen. In den vor und nachgelagerten Betrieben vielleicht noch weitere 250 000. Ein Teil dieser Arbeitsplätze ist sicher gefährdet, doch auf der anderen Seite entstehen bei einem Umbau der Landwirtschaft viele neue Arbeitsplätze.

Als Beispiel möchte ich das Gut Rheinau erwähnen. Als die Stiftung Fintan das Gut übernahm arbeiteten auf dem 120 ha grossen Betrieb 12 Angestellte. Heute sind es inklusive aller Nebenbetriebe mehr als 200 Menschen. Nachzulesen im lesenswerten Buch: Das Gift und wir - Synthetische Pestizide - Fluch oder Segen? Martin Ott erzählt die Geschichte vom Gut Rheinau, gemeinsam mit weitere Autor*nnen.

Die Frage ist nun: Wie abstimmen?

Emotional möchte ich gerne 2 x Ja einlegen. Die synthetischen Pestizide müssen verboten werden. Das Trinkwasser ist an vielen Entnahmestellen zu stark belastet. Die Futtermittelimporte belasten Umwelt und Klima. Und überhaupt, es muss sich so vieles verändern damit unsere Nachgeborenen eine lebenswerte Zukunft haben. Es ist eher schon 2, als 5 vor 12, der Handlungsbedarf ist gross und mehr als dringend.

Und dennoch: die TWI hat einige Nachteile und Unwägbarkeiten. Im Extremfall sogar negative Konsequenzen. So werde ich voraussichtlich Ja zur PEI und Nein zur TWI stimmen. Es sei denn, die Emotionen brennen doch noch durch.

PS 1: Die Schweiz würde sich mit einem Pestizidverbot an die Spitze einer weltweiten, wachsenden Bewegung stellen, die das Ziel hat, die Welt bis zum Jahr 2050 von den Pestiziden zu befreien. > Interview mit Vandana Shiva in: >Das Gift und wir.

PS 2 : Der letzte Satz des Leitartikels in der Woz, von Bettina Dyttrich : „Wichtig ist, nicht zu vergessen, dass grüne und biobäuerliche TWI-Befürworter und -Gegnerinnen die gleichen Ziele haben. «Sie streiten nur über die grosse Frage: Wie kommen wir dort hin?“

Samuel Spahn, Dietikon

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Innerhalb von Uniterre haben wir während verschiedener Diskussionen eine Reihe von Gedanken und Ideen gesammelt, die wir mit unseren Mitgliedern und Unterstützer*innen teilen möchten. Damit soll die Debatte breiter werden und unsere Bewegung den dringend notwendigen Schub bekommen: Für eine bäuerliche Landwirtschaft, die in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht wertvoll und nachhaltig ist.