Donnerstag, 30 April 2020
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Rund zwanzig Unterzeichner*innen aus Landwirtschaft, Verbänden, Politik, Gewerkschaften und der Wissenschaft schlagen Lösungen vor, um der Landwirtschaft ihr Fundament und ihre Bedeutung zurückzugeben».

Maximo Torero, Chefökonom der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), liess am 26. März 2020 verlauten, dass es in den kommenden Wochen infolge der Covid-19-Krise zu Nahrungsmittelknappheit kommen könnte. Protektionistische Massnahmen, geringere Ernten aufgrund von Dürre in vielen Teilen der Welt und Arbeitskräftemangel könnten die Nahrungsmittelversorgung beeinträchtigen und zu einer starken Inflation bei Grundnahrungsmitteln führen.

Solche Engpässe, die die Anfälligkeit unserer Ernährungssysteme deutlich machen, sind nur die Spitze des Eisbergs einer viel tieferen und länger andauernden Krise, die unser System erschüttert: Bodenverschlechterung im Laufe der Jahre, übermäßiger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Monokulturen, mangelnde Unterstützung für Bäuerinnen und Bauern, deren Zahl sich in den letzten 40 Jahren halbiert hat. Eine Nahrungsmittelkrise scheint ebenso unvermeidlich wie die Pandemie mit der wir konfrontiert sind. Lassen Sie uns darauf vorbereitet sein, handeln wir jetzt!

Seit vielen Jahren haben wir ein künstliches, industrielles, von fossilen Brennstoffen abhängiges und wasserintensives Landwirtschaftsmodell, das die biologischen Rhythmen und die Notwendigkeit der Bodenregeneration wenig berücksichtigt. Unser Ernährungssystem ist äusserst fragil und nicht in der Lage, Schocks wie Klimawandel, Krankheiten, geopolitische Krisen zu überstehen oder den Ressourcenmangel abzufedern. Ressourcen wie z.B. Phosphor, von denen dieses System abhängig ist.

Die Covid-19-Krise, die diese Verwundbarkeit deutlich macht, bietet uns die Gelegenheit, den Übergang zu schockresistenten Ernährungssystemen einzuleiten. Systeme, die in der Lage sind, unsere Bevölkerung vor Ort mit minimalen Auswirkungen auf die Umwelt und die Ökosysteme zu ernähren. Eine 2018 von Agroscope durchgeführte Studie zeigt, dass die Schweiz mit einigen Anpassungen in unserer Ernährung (weniger Fleischprodukte und weniger Alkohol) autark sein könnte. Die Ernährung wäre bescheidener, aber immer noch bei weitem ausreichend und viel gesünder als unsere derzeitige Ernährung.

Im Jahr 2018 lehnte das Volk die Initiative zur Ernährungssouveränität ab. Die Initiative wollte ein Bekenntnis zu gesunden, lokalen Nahrungsmitteln, zu einer gerechten Bezahlung der Menschen, die uns ernähren, und ein Bekenntnis zu einer Vielfalt, der bis heute meist grossen landwirtschaftlichen Betriebe. Heute sehen wir, wie wichtig das ist, und wir haben die Gelegenheit, dieselben Fragen ohne zuzuwarten erneut zu stellen.

Die Krise hat es den Bürgerinnen und Bürgern bereits ermöglicht, kürzere Versorgungswege zu fordern und die lokalen Bauern zu unterstützen; auch die Städte haben sich organisiert, um Regionalität zu fördern und einige Wochenmärkte wieder zu öffnen; es ist dieser Weg, den es zu beschreiten gilt!

Wir schlagen vor, so bald wie möglich in jeder Region und jedem Wohngebiet, Bürger*innnversammlungen einzuberufen, zunächst zum elektronischen Austausch und durch Videokonferenzen. Auf diese Weise soll jede Region mit lokalen und diversifizierten Betrieben vernetzt werden, die nahe an der Bevölkerung sind und sich in ihren Dienst stellen. Damit sind wir in der Lage, die Bäuerinnen und Bauern tatkräftig zu unterstützen und mehr Menschen in den Landberufen auszubilden. Wir brauchen dazu: Land, das vor Beton- und Bodenspekulation geschützt ist.

Anstatt der gemähten Rasenflächen, die schädlich für die Biodiversität sind, brauchen wir Parzellen, beispielsweise auch in öffentlichen Pärken, die als Kleinstfarmen zur Versorgung von einzelnen Haushalten oder Nachbarschaften dienen; eine Ausbildung, die Techniken vermittelt, die die Böden regenerieren, Wasser sparen, die Mechanisierung reduzieren und den Kohlenstoff-, Stickstoff- und Phosphorkreislauf schliessen, also eine regenerative Landwirtschaft. Wir brauchen robuste, einfach herzustellende und idealerweise aus «Open Source» stammende landwirtschaftliche Produkte. Ebenso verkürzte Produktionskreisläufe, die die Bevölkerung und die ebenfalls relokalisierten Verarbeitungsbetriebe versorgen.

In regionaler Zusammenarbeit soll ein Inventar der Ressourcen und Bedürfnisse erstellt werden, angestossen durch die Gemeinden in Zusammenarbeit mit der Bezirksverwaltung und lokalen Vereinen. Welche Flächen und Ressourcen stehen heute zur Verfügung? Wie ist die Lagerung und Verteilung aufgestellt? Welche Ausbildungsmöglichkeiten existieren für künftige Bäuerinnen und Bauern, unter anderem in biologischer Landwirtschaft, Biodynamik, Agrarökologie und Permakultur? Welche Nutzpflanzen und Flächen sind für Grundnahrungsmittel vorgesehen? Welche Flächen und natürlichen Lebensräume sind für die Biodiversität, für Bestäuber, Vögel und Nützlinge reserviert? Wie viel Land soll für die Landwirtschaft erhalten werden?

Jede Gemeinde kann mit ihren Bürgerinnen und Bürgern nach einem gemeinsam zu entwickelnden Raster ein Inventar ihres Gebiets erstellen, um so die ganze Schweiz zu kartieren, um sich auszutauschen und einander gegenseitig zu unterstützen. Es geht darum, die Gebiete in jeder Region leistungsfähiger zu machen und dabei die besten Lösungen voneinander zu nutzen. [h1]

Ernährung ist unser erstes Bedürfnis, allerdings sind die meisten Ernährungssysteme von heute anfällig und schädlich für Mensch und Umwelt. Die Landwirtschaft ist eine der wesentlichen Grundlagen für die Sicherheit und das Wohlergehen menschlicher Gemeinschaft. Der Moment ist gekommen, der Landwirtschaft ihre Grundlagen und ihren Sinn zurückzugeben. Eine Frage der nationalen Sicherheit.

Unterzeichner*innen:

Fernand Cuche, paysan, écologiste, politicien; Sara Gnoni, activiste, conseillère communale, présidente de ToxicFree Suisse; David Bichsel, agronome et ingénieur en environnement, président de l’association Cotyledon; Matthieu Glauser, paysan bio et président de Bio Vaud; Jean Ziegler, sociologue, politique, auteur; Matthieu Calame, membre de la Fondation pour le progrès de l’Homme; Michelle Zufferey, secrétaire permanente à Uniterre; Charles Bernard Bolay, paysan et président d’Uniterre; Gaëlle Bigler, présidente de la Fédération romande d’agriculture contractuelle de proximité; Dominique Bourg : philosophe, professeur honoraire, Université de Lausanne; Sophie Swaton, présidente de la Fondation Zoein, économiste et philosophe, Université de Lausanne; Luigi d’Andrea, docteur en biologie, permaculteur et arboriculteur; Nathalie Chèvre, maître d’enseignement et de recherche, écotoxicologue, Université de Lausanne; Pablo Buono, médecin, Véronique Ançay, vigneronne en bio et en pratiques biodynamiques; Simon Noble, membre de l’association du Petit Bochet, permaculteur, décroissant et enseignant; Sylvie Bonvin-Sansonnens, maître-agricultrice, coprésidente de Bio Fribourg; Christophe Golay : membre de l’académie de droit international humanitaire et de droits humains à Genève; Sylvain Keller, président de l’association ESCJV, Ecoculture sociale et citoyenne en jardins vergers; Aurèle Morf, vigneron bio local; Benoit Molineaux coopérative équilibre et SPP Meyrin.

Ernährungssouveränität ist definiert als ein internationales Recht, das es Gemeinschaften, Staaten oder Staatengruppen erlaubt, eine Agrarpolitik zu betreiben, die für die jeweilige Bevölkerung am besten geeignet ist. Ohne dass sich diese Agrarpolitik negativ auf die Bevölkerung anderer Länder auswirkt.

Ernährungssicherheit ist dadurch gekennzeichnet, dass alle Menschen die physische, soziale und wirtschaftliche Möglichkeit haben, genügend, sichere und nahrhafte Lebensmittel zu erwerben, um ihre Ernährungsbedürfnisse und -vorlieben für ein aktives und gesundes Leben zu befriedigen.