Freitag, 29 November 2013

Merkt Euch die schönen Worte von Bernard Lehmann, danach gibt's ein Apéro und ein Essen, offeriert von der Organisation Schweizer Milchproduzenten (SMP). Und vergesst nicht, das Stade de Suisse zu besuchen! Denkt nur nicht zu sehr an den Milchmarkt, liebe Bauernfamilien, sondern überlasst das Denken und die guten Ratschläge ruhig Eurer Organisation. Bezahlt die Werbung unserer Branche - die Menschen sollen schliesslich Milch konsumieren - aber bitte, bitte kämpft nicht mehr um den Milchpreis! Da kann die SMP einfach nichts mehr machen, da entscheidet der Markt. Wo wir noch Einfluss haben, das ist die Agrarpolitik, zusammen mit dem SBV.

 

 

Das ist ein ironischer Abriss des Eindrucks, der mir die erste Delegiertenversammlung der SMP unter dem neuen Präsidium hinterlassen hat. Leider war es kein Tag-Albtraum. Ich muss zugeben, meine Erwartungen waren gering und im Hinterkopf hatte ich das Interview mit Hanspeter Kern, das am 11. Oktober 2013 im Agri veröffentlicht wurde. Er diskutierte über die Öffnung der „weissen Linie“. Hier ein paar Ausschnitte mit meinem Kommentar [Zitate wurden übersetzt]:

Auf die wichtige Frage nach dem Einfluss der SMP auf eine zentrale Mengensteuerung und darauf, ob eine solche zu den Zielen der SMP gehöre oder nicht, antwortet der Präsident: „Zurzeit gibt es kein Instrument mehr, um steuernd in den Markt einzugreifen. Unsere Aufgabe ist es, den Produzenten und ihren Organisationen Informationen über den Markt zu liefern, damit sie sich möglichst gut organisieren können.“

Das ist doch ein Eingeständnis, dass die SMP nicht funktioniert und dass ihre Existenz keinen Unterschied macht! Folglich muss etwas unternommen werden - das könnten die Mitglieder zumindest von der Dachorganisation verlangen, die angeblich ihre Interessen vertritt. Die Produzenten von Uniterre, Big-M und dem NBKS haben bereits 2012 Vorschläge gemacht, die von der SMP jedoch nie ernsthaft untersucht wurden. Offensichtlich haben die „geheimen Kräfte“, die sich gegen alle Regulierungssysteme stemmen und sogar in der Direktion der SMP sitzen, jegliche Diskussion zu diesem Thema abgewürgt, so wie schon beim vorhergehenden Präsidium. Eine kürzlich durchgeführte Studie im Wallis hat gezeigt, dass die Produzenten ein nationales Regulierungssystem erwarten. In der EU soll demnächst eine Marktbeobachtungsstelle eingeführt werden; das European Milk Board und andere Organisationen setzten sich stark dafür ein, dass Europa für seine Milchmengen ab 2015 ein Preissteuerungssystem erhält. Es fehlt weder an Ideen noch an Überlegungen. Die entsprechenden Dossiers werden von Tausenden Bauernfamilien in der Schweiz und in Europa unterstützt, was eigentlich auch in der SMP eine Spur hinterlassen sollte, aber dem ist nicht so. Eine Mengensteuerung könnte sogar auf politischer Ebene von der SMP unterstützt werden, aber wie soll darüber diskutiert werden, wenn die SMP nicht davon überzeugt ist und seine Verantwortung gegenüber den Milchproduzenten nicht wahrnimmt?

Die Frage zum wachsenden Einfluss der Discounter auf die Produzentenpreise beantwortet Herr Kern folgendermassen: „Wir haben keinerlei Einfluss auf die Festsetzung der Preise im Detailhandel (...) es ist normal, dass ein wertvolles Produkt wie Milch teurer ist, als Wasser.“

Er verschweigt, dass die SMP auf die Milchverarbeiter Einfluss hat, die den Druck der Grossverteiler (mehr und billiger) direkt and die Produzenten weitergeben. Crémo und ihre „Lakaien“ haben die Debatte zur Öffnung der „weissen Linie“ überhaupt vom Zaun gebrochen. Sie profitieren von der Tatsache, dass die Milch ein sensibles und verderbliches Produkt ist, um ihren Produzenten miserable und unnatürliche Verträge aufzuzwingen (monatliche Mengen, kein fester Preis usw.). Er verschweigt ausserdem, dass viele Konsumenten den Wert der Milch durchaus anerkennen und wissen, dass sie mehr wert ist, als Mineralwasser. Viele sind auch bereit, ihre Milch teurer zu bezahlen und die Bauernfamilien fair zu bezahlen, damit sie weiterhin jeden Tag Milch produzieren. Nur, das Ganze läuft über Grossverteiler, die davon nichts hören wollen. Weshalb organisiert die SMP nicht den Aufbau und die Unterstützung von Direktvermarktung oder regionalen Verkaufs- und Verarbeitungsprojekten? Damit könnte sie das Wohlergehen der Bauernfamilien und der kleinen Verarbeiter ebenso fördern, wie die Milch die Gesundheit der Knochen fördert! Damit könnte die SMP drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: 1) Werbung für die Milch 2) zugunsten der Bauernfamilien und 3) Druck auf die Käufer, die sich dann tatsächlich in einer Wettbewerbssituation (mit ihren Lieferanten) befänden. Dann wäre die SMP endlich eine Marktteilnehmerin, die etwas zu sagen hat und die Interessen ihrer Mitglieder verteidigen kann! Die Milchbetriebe liegen in der ganzen Schweiz verstreut, das ist doch ein super Werbepotenzial - nicht nur bei Abstimmungen!

Was Herr Kern vielleicht nicht wahrhaben will, ist, dass die SMP nur Handelsspielraum für Diskussionen und Verhandlungen hat, wenn die Bauern sie dazu zwingen. Das war beim Milchstreik 2008 ja ganz frappierend: Plötzlich hatte sie Gewicht bei den Verhandlungen, plötzlich fand sie sich in der Realität des Marktes wieder. Heute sollte die SMP ihre bäuerliche Basis „organisieren und planen“, dass sich solche Bewegungen wiederholen. Übung macht den Meister, wie man so schön sagt. Kämpfen macht stark und Fatalismus hat sich noch nie bezahlt gemacht.

Zur Aussenpolitik wurde Herr Kern schliesslich gefragt, welchen Einfluss die Aufhebung der europäischen Milchkontingentierung auf die Schweizer Produzenten haben werde. Seine Antwort ist beunruhigend. Er geht davon aus, dass „die Aufhebung der Milchkontingentierung kaum Auswirkungen auf die Milchmengen haben wird (...). In Europa werden die Milchquoten nicht vollständig ausgeschöpft. (...) Die Schweiz wird nur wettbewerbsfähig sein, wenn die Milchbetriebe wachsen (...) vor allem im Flachland.“

Es macht sich für den Präsidenten einer nationalen Organisation schlecht, das europäische Problem auf ein paar Statistiken zu reduzieren. Die negativen Folgen der Liberalisierung können nicht auf die produzierte Milchmenge reduziert werden, sondern müssen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Hier nur ein paar Beispiele:

- Raumplanung und dezentrale Besiedelung: Was passiert, wenn in ganzen Regionen keine Milch mehr produziert wird und die ganze Produktion in Gegenden stattfindet, wo die Betriebe zwar wettbewerbsfähig, aber total verschuldet sind?

- Preis und Märkte: Wie kann die Verhandlungsmacht der Produzenten gestärkt werden, wenn sie sich nur zu regionalen Gruppen zusammenschliessen dürfen, aber mit internationalen Abnehmern verhandeln müssen? Wie kann eine ausreichende Produktion garantiert werden, wenn die Preisvolatilität stärker wird und Tausenden der Bankrott droht - wenn also niemand mehr in die Produktion oder die Verarbeitung investiert?

- Krise: Welche Instrumente müssten in Europa eingeführt werden, um Versorgungskrisen meistern zu können? Welche Sicherheitsnetze braucht es, um die Aufgabe tausender Betriebe zu verhindern? Wie soll man mit den Geldströmen umgehen, die von ausserhalb der Landwirtschaft kommen und in Fabrik-Betriebe investiert werden sollen?

STOP!!!!

- Finanzen: Wer wird die Zeche bezahlen, wenn es grössere Probleme gibt? Reicht das europäische Budget für die Landwirtschaft aus, um die Existenz der Milchbetriebe nachhaltig zu garantieren?

- Konsument und Politiker: Sie werden vermutlich eine bessere Rückverfolgbarkeit, Regionalität und qualitativ hochstehende Milchprodukte fordern. Wettbewerbsfähigkeit steht nicht unbedingt an erster Stelle, sondern viel eher der Mehrwert bei Preis, Qualität, Nachhaltigkeit und dezentraler Besiedelung.

Das European Milk Board und andere Bauernorganisationen drängen derzeit darauf, dass die EU eine Mengenregulierung einführt, die sich am Produzentenpreis orientiert (Zielpreiskorridor). Dieses System hat den Vorteil, dass die Produzenten garantiert ausreichende Milchpreise erhalten und dass die Produktion den Marktbedarf deckt.

Nun noch zur Aussage von Herrn Kern, dass die Betriebe in der Schweiz nur wettbewerbsfähig sind, wenn sie wachsen: Hier fehlt es Herrn Kern eindeutig an Differenzierung und Objektivität, umso mehr als die Käufer in der EU ihren Produzenten dasselbe Lied singen. Von einer Dachorganisation der Produzenten kommend, erhält diese Aussage jedoch ein ganz anderes Gewicht. So werden die Spezialisierung und die Verschuldung der Betriebe gefördert. In einem Preisumfeld, das ständigen Veränderungen ausgesetzt ist, werden sie verletzlicher. Man braucht aber keine Hochschule absolviert zu haben, um zu verstehen, dass sich eine Investition nur lohnt, wenn der Preis für das Erzeugnis die Produktionskosten deckt. Erzeuger mit Schulden können viel leichter unter Druck gesetzt werden. Die Abnehmer können sie nach Belieben manipulieren und formen, denn wer kein Geld hat, muss zu jedem Preis und jeder Bedingung liefern können, Verluste hin oder her.

Diesbezüglich ist interessant, dass die Hochschule für Agrar-, Forst - und Lebensmittelwissenschaften in ihrer Studie zur Marktöffnung für die „weisse Linie“ festhält, dass die weniger spezialisierten Betriebe mit mehreren Standbeinen besser über die Runden kommen werden, als spezialisierte ...

Nicolas Bezençon