Freitag, 30 Januar 2015

test 2 lunettes palais federalDer Bundesrat hat seinen Gegenentwurf zur Initiative des Schweizer Bauernverbandes veröffentlicht. Abgesehen von den schädlichen Aspekten im Zusammenhang mit dem propagierten Zugang zu den internationalen Agrarmärkten (siehe Leitartikel Januar 2015), stellt sich die Frage welche Konzequenzen die Umsetzung von Buchstabe c «eine wettbewerbsfähige Land- und Ernährungswirtschaft» haben würde.

 

 

Wir misstrauen dem Begriff «wettbewerbsfähig», weil er öffnet allen möglichen Fehlentwicklungen Tür und Tor. Im Namen der Wettbewerbsfähigkeit könnte der Bundesrat sehr bedenkliche Entscheide für die Landwirtschaft treffen. Im Wörterbuch  steht zum Beispiel diese Definition: „wettbewerbsfähig: wenn jemand seine Produkte zu einem Preis absetzt, der es ermöglicht, gleichwertige Produkte auf dem Markt zu konkurrieren“. Diese aktuelle Tendenz unserer Wirtschaft ist besorgniserregend.

In seinen Erläuterungen argumentiert der Bundesrat, dass die Unternehmen der Land und Ernährungswirtschaft «ihre Produkte erfolgreich am Markt verkaufen und damit Wertschöpfung generieren. Entsprechend gilt es, Möglichkeiten zur Produktdifferenzierung über die Qualität sowie zur Kostensenkung zu nutzen und damit die Wettbewerbsfähigkeit umfassend zu verbessern. Gerade vor dem Hintergrund des nach wie vor hohen Grenzschutzes für landwirtschaftliche Produkte und im Hinblick auf eine weitere Annäherung der Märkte ist eine solche Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Ernährungswirtschaft von entscheidender Bedeutung».

Wenn wir diese paar Sätze analysieren, zeichnet sich ein Szenario ab, mit der wir geradewegs in die Mauer knallen werden. Denn: Die Schweizer Landwirtschaft erzielt schon heute eine Wertschöpfung, aber sie wird grösstenteils von den nachgelagerten Bereichen verschlungen. Unser Markt ist ein Oligopol mit zwei Hauptakteuren: Coop und Migros vermarkten  80 % der landwirtschaftlichen Produktion und einen Teil davon verarbeiten sie auch. Der Bund beobachtet diese einseitige Machtverteilung, diese ungleichen Verhandlungspositionen zwischen Marktakteuren, ohne zu reagieren. Schlimmer noch, die Wettbewerbskommission (WEKO) gibt den orangen Giganten bei jeder Anfrage eine Blankovollmacht für die Einverleibung zusätzlicher Unternehmen. Wenn uns etwas an einer gerechten Verteilung der Wertschöpfung liegt, so dass alle etwas davon haben - vom Landarbeiter bis zum Endverbraucher - muss der Bund dem Markt Regeln setzen. „Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen“ (Zitat aus dem Vorwort unserer Bundesverfassung, nicht etwa aus einem wirtschaftlichen Essay von Karl Marx!).

Nun, was die Produktdifferenzierung über die Qualität betrifft, so wagen wir zu behaupten, dass die Schweizer Landwirtschaft in diesem Bereich schon viel erreicht hat. Denken wir nur an den Wein (der vom massiven Import stark unter Druck ist), den Käse, die ökologischen Getreide usw. Eine solche Differenzierung braucht die Unterstützung des Gemeinwesens. Doch die Erfahrung zeigt: Der Erfolg von kleinen, innovativen Projekten in Bauernhand, wo eine Differenzierung gewagt wird, um die Wertschöpfung an das untere Ende der Wertschöpfungskette zu binden (kleine Schlachthöfe, Hofkäsereien, Mühlen usw.), wird oft von neuen Normen und Regeln untergraben. Könnten sie letzten Endes eine Gefahr für die orangen Riesen darstellen? In der EU werden die Normen für die handwerkliche Verarbeitung bereits heute viel zu oft an die Bedürfnisse/Forderungen der industriellen Produktion angepasst - zum Leidwesen vieler Bauern.

Kommen wir zum nächsten Punkt, der Kostenreduktion. Dieses Ziel steht schon seit 20 Jahren erfolglos in den Reformprogrammen der Landwirtschaft. Es sei uns deshalb erlaubt  zu schmunzeln, angesichts der jüngsten Entwicklung des Wechselkurses des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro. Lassen wir uns nichts vorgaukeln! Unsere Arbeitsbedingungen sind nicht mit denjenigen unserer Kollegen in der EU vergleichbar und das müssen wir akzeptieren. Wer ähnliche Kosten und Preise anstrebt, macht sich etwas vor. Unsere Kosten entsprechen dem Lebensstandard in der Schweiz, anders geht es nicht.

Im Weiteren wagt der Bundesrat zu sagen, dass die erstrebte Wettbewerbsfähigkeit einen „möglichst geringen administrativen Aufwand für die Betriebe“ voraussetzt. Angesichts der Auswirkungen der AP 14-17 könnte man meinen, es handle sich um einen Aprilscherz, doch der Frühling steht noch vor der Tür. So sind auch die „schönen Worte“ des Bundesrats nicht besonders verlockend.

Der Gegenentwurf des Bundesrats ist in seiner heutigen Form ganz einfach abzulehnen. Uniterre wird sich zwar an der Vernehmlassung beteiligen, aber da die Behörden unsere vorgängigen Stellungnahmen kaum gewürdigt haben, ist unser bestes Druckmittel gegen diesen Gegenentwurf das Sammeln von Unterschriften und das Unterschreiben der „Initiative für Ernährungssouveränität - die Landwirtschaft betrifft uns alle“. Wir kämpfen bereits heute mit den Folgen des scheinbar harmlosen Satzes in Artikel 104 der Verfassung: „Der Bund sorgt dafür, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion ...“ Es hätte genügt, die Nachhaltigkeit in die Verfassung aufzunehmen, denn diese ist per Definition ein System, in dem das ökologische, soziale und wirtschaftliche Gleichgewicht im Vordergrund steht. Aber nein, die Produktion musste auf den Markt ausgerichtet werden, um gewisse politische und wirtschaftliche Kräfte zufriedenzustellen. Das Ergebnis: Seit dieser Artikel 1996 in Kraft getreten ist, sind in der Schweiz über 24’000 landwirtschaftliche Betriebe (-30 %) und 60’000 Stellen im landwirtschaftlichen Sektor (-27,5 %) verschwunden. Coop und Migros erleben glückliche Zeiten, während kleine, lokale Verarbeiter verschwinden. Nur vereinzelt werden sie wieder zum Leben erweckt, in Regionen, wo die öffentliche Hand der lokalen Wirtschaft eine Chance gibt.