Dienstag, 30 August 2016

sozLandw-Tina-Obstanlage-webEin Interview mit Tina Siegenthaler aktiv im Vorstand Loconomie, das den Lehrgang zur solidarischen Landwirtschaft anbietet und Mitbegründerin der Gemüsekooperative Ortoloco in Zürich.

 

 

 

Zum zweiten Mal findet Euer Lehrgang zur solidarischen Landwirtschaft statt. Wie gross ist das Interesse?

Tina Siegenthaler : Die konventionelle Lehre als GemüsegärtnerIn und LandwirtIn ist stark auf grössere Betriebe ausgerichtet. In der Berufsschule geht es um Maschinen, Spritzmittel und Folien. Der biologische und kleinteilige Anbau wird nur am Rande behandelt. Im Lehrgang für solidarische Land-wirtschaft sollen Wissen und Fähigkeiten vermittelt werden, welche insbesondere auf Solawi-Betrieben relevant sind : Vielfältige Anbauplanung, eigene Setzlingsanzucht und effiziente Handarbeitstechniken. Zudem werden organisatorische Aspekte wie Rechtsform, Finanzplanung, Mitarbeit und Partizipation vertieft. Auch im zweiten Jahr war das Interesse am Lehrgang sehr gross - es gibt bereits wieder eine Warteliste. Erstaunlich war, dass auch Interessierte aus Italien, Dänemark und Deutschland den Lehrgang besucht haben. Von den jeweils rund 25 TeilnehmerInnen war etwa die eine Hälfte in der Landwirtschaft tätig und die andere Hälfte als KonsumentInnen aktiv. Somit funktioniert der Lehrgang auch als Vernetzungs-Plattform - viele der TeilnehmerInnen bleiben auch nach dem Kurs noch in Kontakt. Einige haben ausserdem bereits angefangen, die Synergien zu nutzen und eigene Solawi-Betriebe aufzubauen.

 

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht mit dem Zugang zu Land und die Schwierigkeiten die damit verbunden sind?

Tina Siegenthaler : Landwirtschaftsbetriebe geben aus diversen Gründen nicht gern Land ab. KonsumentInnen-Gruppen, die einen Solawi-Betrieb aufbauen wollen, brauchen also ein klares und überzeugendes Konzept, das Vertrauen schafft, wenn sie Landwirtschaftsbetriebe in der Umgebung für Land anfragen. Im besten Fall ist jemand mit Bezug zur lokalen Landwirtschaft mit in der Aufbau-Gruppe dabei. Eine andere Möglichkeit ist die Pacht oder Nutzung von Flächen, die Privatpersonen ohne Landwirtschaftsbetrieb, einer Stadt oder Gemeinde gehören. Da ist aber eine genaue Abklärung nötig, ob eine Solawi zonenkonform ist und wie langfristig geplant werden kann.

 

Inwiefern befördert allenfalls die Initiative für Ernährungssouveränität das Konzept der solidarischen Landwirtschaft? 

Tina Siegenthaler : Solidarische Landwirtschaft ist eine gute Möglichkeit, Ernährungssouveränität direkt umzusetzen. Die Mitglieder jedes Solawi-Betriebs definieren gemeinsam ihre konkrete Ausgestaltung der Produktion und Verteilung innerhalb der Prinzipien Risikoteilung, Partizipation und Verbindlichkeit. Auf politischer Ebene könnten mit der Umsetzung der Ernährungssouveränität auf staatlicher Ebene die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Infrastruktur für die solidarische Landwirtschaft verbessert werden - solidarische Landwirtschaft wird zum jetzigen Zeitpunkt nach Schweizer Agrarrecht nicht offiziell anerkannt.

 

sozLandw-Kurs1 5-webGibt es neue spannende Projekte/Entwicklungen worüber es sich zu berichten lohnt?

Tina Siegenthaler : Ein Grossteil der Solawi-Betriebe widmet sich bisher vor allem dem Gemüse, einige wenige haben auch Mehl, Öl, Obstprodukte und anderes im Sortiment. Ganz neu sind zwei spannende Solawi-Betriebe mit Milchprodukten entstanden. Einer davon ist die basimilch in Dietikon : Die Genossenschaft ist eine kooperative Käserei auf dem Hof Im Basi. Die Biomilch der behornten Kühe wird in der hofeigenen Käserei zu naturbelassenen Milchprodukten (Käse, Joghurt, Quark, Rahm, Butter, Rohmilch, etc.) verarbeitet und im wöchentlichen Takt in der Region Zürich an die Mitglieder verteilt. Auf Anfang 2017 steht die Verdopplung an - das Ziel ist, nicht nur die Hälfte, sondern die gesamte Milchmenge an die Mitglieder abzugeben.

Die Kooperationsstelle führt ausserdem zusammen mit interessierten Höfen ein Projekt durch, um Konzepte für eine gesamtbetriebliche Umsetzung der solidarischen Landwirtschaft zu entwickeln und umzusetzen. Wenn alle Betriebszweige auf einem Hof in die Solawi eingebunden sind, entsteht ein richtiger Kreislauf mit Nährstoffflüssen, Fruchtfolgen, Arbeitsplanung, etc. sowie eine Wirtschaftsgemeinschaft zusammen mit allen Mitgliedern.

 

Das Gespräch führte Mathias Stalder
Uniterre Zeitung - Juli-August 2016