Montag, 03 Dezember 2012


tombezberne2011 petitEin halbes Jahr, nachdem er die Zügel der neuen Kopräsidentschaft übergeben hatte, diskutierte Pierre-André Tombez immer noch gleich lebhaft und engagiert bei einem Kaffee auf seinem Hof. Rückblick auf die Gewerkschaft Uniterre während der 16jährigen Präsidentschaft des Bauernführers aus Salavaux.

Pierre-André, du bist seit mehreren Jahren Mitglied des Vorstandes der ECVC1.  Was hat dir dieser internationale Kontakt als Bauernführer gebracht, wie hat er deine Arbeit bei Uniterre beeinflusst?

 

 

Der Kontakt mit der europäischen Bauernkoordination, der heutigen ECVC, ist viel wichtiger als viele unserer Mitglieder es sich vorstellen. Diese internationale Öffnung stärkt uns, denn man wird sich bewusst, dass viele europäische Bauern dieselben Realitäten erleben und die gleiche Priorität haben wie wir, nämlich eine produktive und gleichzeitig ökologische Landwirtschaft zu bewahren. Die Gewerkschaft EHNE im Baskenland und die Organisation AIAB in Süditalien beispielsweise leisten eine ähnliche Arbeit wie Uniterre, und ihre Mitglieder kommen vergleichsweise besser durch als die andern Bauern. Wenn man sich dessen bewusst geworden ist und auf dieser europäischen Ebene an Bauernsitzungen teilgenommen hat, ist man stärker und hat mehr Vertrauen in unseren Kampf, in unsere Produkte und unsere Arbeitsweise. Deshalb fordern wir unsere Mitglieder auf, an diesen europäischen Sitzungen teilzunehmen, von denen man immer mit erneuter Kampfenergie zurückkommt. Genauso wie ich es geschafft habe, Weinbauer zu sein ohne Wein zu trinken, konnte ich auf europäischer Ebene mit allen möglichen Bauern und Landwirtschaftsorganisationen ins Gespräch kommen und gleichzeitig Vertrauen in die Unabhängigkeit und die kohärente Vision von Uniterre haben.

Welche Bilanz ziehst du aus dem Lebensabschnitt, den du Uniterre gewidmet hast?

Als ich Präsident von Uniterre wurde, die damals noch UPS hiess, erlebten wir eine Vertrauenskrise bezüglich unserer Ideen, unserer Legitimität gewissermassen. Dank der Arbeit im damaligen Vorstand, der mich als jungen Präsidenten akzeptierte, und der Beiträge der seinerzeitigen Sekretäre Gérard Vuffray und Fernand Cuche hat Uniterre die Kraft gefunden, sich in Frage zu stellen und zu neuen Horizonten aufzubrechen.

Ich würde vor allem sagen, Uniterre habe sich positiv entwickelt. Zunächst weil sich das ständige Team im Büro nach und nach vergrössert hat, im Sinn der ständig höheren Zahl von Bauern, in deren Namen wir sprechen und handeln... In Sachen Zahl der Angestellten in den Büros im Verhältnis zur Anzahl Bauern, die wir vertreten, müssten wir uns eigentlich noch weiter vergrössern  (im Vergleich mit anderen beruflichen Interessenverbänden), denn wir vertreten die Hälfte der Schweizer Bauern, obschon diese nicht alle ihren Mitgliederbeitrag bezahlt haben, vor allem aus Wut über die allzu vielen Mitgliederbeiträge an sämtliche Landwirtschaftsverbände2. Aber ich glaube, dass je länger je mehr Bauern die Bedeutung und die Legitimität von Uniterre in der Schweizer Landwirtschaftswelt anerkennen. Und zweitens werden die Vorschläge von mehr Mitgliedern mitgetragen, vor allem dank einer grossen Arbeit an der Basis mit den Bauern. 

Wir haben unsere Kraft aufgebaut, indem wir es wagten, vom Markt zu sprechen: Der Direktverkauf und die Ökologie müssen den einheimischen Markt stärken. Wir zeigen auch, dass das Marketing im Lebensmittelbereich immer gleich funktioniert: die Produkte gegeneinander ausspielen, um Druck auf die Preise auszuüben, selbst wenn die Produkte auf den ersten Blick anscheinend zu getrennten Branchen gehören (beispielsweise Kaffe und Palmöl in der Strategie von Nestlé).

Uniterre ist die einzige Organisation, die diese drei Interventionsebenen miteinander verbunden hat:

- politische Aktion als Lobby-Organisation, um die Landwirtschafts- und Ernährungspolitik darauf auszurichten, dass die Konsumenten unsere lokalen, solidarischen und ökologischen Qualitätsprodukte kaufen können;

- direkte Aktion auf dem Markt ganz nahe bei unseren Kunden als beruflicher Interessenverband;

- Vertrauenskontakte mit den Konsumenten als Gesprächs-Plattform.

Mann kann sagen, wir sind Visionäre, wenn wir von Politik sprechen, Pragmatiker, wenn wir vom Markt sprechen, und verbunden, wenn wir uns an die Konsumenten wenden! So, wie ich die anderen landwirtschaftlichen Interessenverbände wahrnehme, sind sie Pragmatiker in der Politik, Utopisten bezüglich der Preise (denn sie glauben, wenn man bei sinkenden Preisen viel produziere, schaffe man es dennoch) und losgelöst von den Konsumenten.

Persönlich wurde ich bei Uniterre nie enttäuscht. In keiner anderen Organisation habe ich eine solche Vertrautheit und ein solches Arbeitsklima erlebt. Das ständige Team von Uniterre ist tatsächlich da für die Bauern.

Wenn ich nur zwei Höhepunkte herauspicken müsste, wären das sicher der erste Milchstreik mit seinen Momenten der intensiven Nähe zu den Bauern, vor allem bei den gemeinsamen Entscheidungen über die Fortsetzung oder die Beendigung des Streiks; und dann, auf internationaler Ebene, der grossartige Austausch beim europäischen Forum für die Ernährungssouveränität im österreichischen Krems. Das einzige, was ich bedaure, ist, dass nicht genügend Bauern nach Krems reisen konnten, um dieses Ereignis mitzuerleben. 

Nach meiner Rückkehr aus Krems war ich bestärkt in meiner Überzeugung, dass der Nachwuchs in unserem Vorstand für die Präsidentschaft bereit ist. Denn wir haben eine grosse Vielzahl von Produzenten, die Uniterre jedoch zusammen MIT EINER EINZIGEN STIMME tragen. Im Vorstand sind sowohl Frauen als auch Deutschschweizer vertreten, und ganz besonders möchte ich Ulrike Minkner für ihren Einsatz gratulieren.

Kommen wir zurück auf die Legitimität der Bauernorganisationen, die du vorher erwähnt hast. Im kürzlich erschienenen Buch des CETIM  «Terre et Liberté! A la conquête de la Souveraineté Alimentaire» spricht Paul Nicholson, ein Führer von La Via Campesina International, genau von Legitimitäts- und Funktionskrise der Landwirtschaftsorganisationen in Europa (bezüglich ihrer Entscheidungskultur, ihrer Repräsentativität und ihrer Mobilisierungskapazität). Wie steht es damit heute in der Schweiz?

Unsere Legitimität müssen wir uns von niemandem erbetteln, die haben wir! Die Führer der Organisationen von La Via Campesina kommen aus der Bauernbasis, wo die demokratischen Aspekte in den Organisationen sehr wichtig sind. Und auch die Gesellschaft anerkennt sie dank unserer direkten Beziehungen und Wege.

Doch wir stehen einem Teufelskreis gegenüber, denn wenn wir wollen, dass unsere Legitimität in den Landwirtschaftskreisen anerkannt wird, müssen wir unsere Mitgliederbeiträge einzufordern wagen, um gerechte Preise fordern zu können.

Die unabhängige Finanzierung von Uniterre ist eine direkte Anerkennung unserer Arbeit, unserer Leistungen. Richtig wäre, wenn auch alle anderen beruflichen Interessenverbände aufgrund der Zufriedenheit der Mitglieder bezahlt würden, wenn die Betriebe nur ein Mal für die berufliche Interessenvertretung zur Kasse gebeten würden und wählen könnten, wem sie diese Mitgliederbeiträge zahlen wollen. Aber ich glaube, dass nicht nur die Anzahl Mitglieder Uniterre ausmacht, sondern auch das Gewicht, das die Mitglieder ihren Vorschlägen gibt.

Wie steht es mit der Legitimität der anderen landwirtschaftlichen Interessenverbände?

Sie haben an Legitimität verloren, und das Funktionieren der landwirtschaftlichen Interessenverteidigung in der Schweiz muss grundsätzlich hinterfragt werden. Unsere Bauern zahlen horrende Beträge, dazu noch über ein undurchsichtiges System von Doppel- oder Dreifachbeiträgen an Organisationen, deren Visionen sie nicht mehr teilen. Es wäre viel angemessener, wenn die Beiträge an die berufliche Interessenvertretung auf den Betrieb erhoben würden, allenfalls aufgrund des SAK, aber nicht auf seine Grösse oder die Produktion wie heute. Um mehr Mitgliederbeiträge zu kassieren, müsste man dann für mehr Bauern kämpfen und für bessere Vorschläge, dann würde die Konkurrenz nach den besten Ideen erfolgen! Das Prinzip, dass gewisse Beiträge obligatorisch sind, ist an sich unhaltbar!  

Woher stammt die heutige Verteilung der Finanzierung der beruflichen Interessenvertretung?

Das weiss keiner! Und darüber wird seit 30 Jahren diskutiert, wurde die AGORA doch gegründet zum Zeitpunkt einer ernsthaften Infragestellung, um die Romands "zum Schweigen zu bringen". Dann haben die kantonalen Landwirtschaftskammern weitere Dienstmandate übernommen (Raps, IP-Kontrolle usw.) und damit zur nachhaltigen Gebundenheit der Bauern und zur Verewigung dieses Verteilschlüssels beigetragen. Danach wurde es durch das Gesetz über die Branchenorganisationen möglich, Beiträge pro Produktionsmenge einzuführen, und dadurch konnten sich die Landwirtschaftsorganisationen gewaltig bereichern. Als ich im Komitee der Kartoffelproduzenten war - vor dem Gesetz über die Branchenorganisationen - wurden die Beiträge sogar pro Einzelmitglied erhoben, und rund ein  Drittel der Kartoffelproduzenten bezahlte Beiträge. Nach der Einführung des Gesetzes konnte mit der Beitragszahlung sämtlicher Produzenten (aufgrund der Produktionsmenge) das Gewicht jedoch nicht gesteigert werden. Man brauchte also nur noch die Bauern zum Produzieren anzuspornen. Das war der Wendepunkt unserer beruflichen Interessenvertretung! Die Genossenschaften wurden auf dem globalisierten Markt aktiv, und die Entscheidungen werden nunmehr von den Direktoren und nicht mehr von den Bauernkomitees getroffen. Nur der SGPV hat trotzdem gekämpft, um seine Mitglieder zu behalten, und dann ist das Extenso gekommen.

Du kennst die landwirtschaftlichen Berufsverbände von innen, denn du hast in mehreren sektoriellen Interessenvertretungsorganisationen gearbeitet, sowohl in der Getreide- als auch in der Rüben- und der Kartoffelbranche, bevor du dich einer globaleren bäuerlichen Interessenvertretung bei Uniterre und der ECVC zugewandt hast. Was ist aus den bäuerlichen Genossenschaften geworden?

Unsere Genossenschaften sind im Laufe der Fusionen zu riesigen Gebilden angewachsen, deren Leiter aus Marktorganisationen stammen. Ich frage mich, wie unabhängig sie sind. Heute geht es ihnen nur noch um den Absatz der Produkte ihrer Mitglieder, damit entfernen sie sich von ihrer ursprünglichen Aufgabe, im Dienst der Genossenschafter zu stehen. Eine kleine dezentralisierte Sammelstelle hingegen, wie ich sie in Salavaux zu betreiben versuche, muss den Produzenten ausserdem kostendeckende Preise anbieten, um sie behalten zu können. Es ist wichtig, unseren Genossenschaften diese Basis zu erhalten oder zurückzugeben, und es ist möglich: Wie arbeiten mit 42 Produzenten, die IP-Schweiz-Mais und -Getreide liefern. Seit ein paar Monaten arbeite ich auch mit einer anderen kleinen dezentralisierten Sammelstelle in Valeyres-sous-Rances zusammen, deren Vorstand dafür kämpft, dass diese Genossenschaft unabhängig bleibt und Arbeitsplätze schafft und dass sie mit spezifischen Produkten weiterentwickelt wird.   

Das Gespräch führte Anne Gueye Girardet