Der Bundesrat wird seine Stellungnahme Ende Jahr veröffentlichen. Das Bundesamt für Landwirtschaft muss seinen Bericht im Frühjahr 2014 abgeben. Das Dossier ist also hochaktuell - Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Rückblick auf den Fragebogen des BLW
Vor einigen Monaten hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) einen Fragebogen veröffentlicht, um die Meinungen der betroffenen Akteure zu diesem Thema einzuholen. Uniterre und andere Produzentenorganisationen (Big-M, NBKS u. a.) haben sich geweigert, den Fragebogen auszufüllen; sie haben ihre Stimmverweigerung über die Medien kommuniziert. Die Fragen waren eindeutig vom Willen zur Liberalisierung geprägt. Schlimmer noch, die 25 000 Milchbetriebe der Schweiz wurden übergangen, ihre Meinungen überhaupt nicht berücksichtigt - im Gegensatz zu den Unternehmen in Verarbeitung und Vertrieb. Die Verhältnismässigkeit und die Repräsentativität der Akteure waren also von Anfang an eindeutig verzerrt. Das geht auch aus den unten angeführten Antworten klar hervor:
- Ein Drittel der Betriebe, die geantwortet haben, sind grundsätzlich für eine Marktliberalisierung. Ein Drittel ist klar dagegen und ein Drittel hat sich zu dieser Frage nicht geäussert.
- Bei den Chancen sehen die Betriebe natürlich das grössere Verkaufspotenzial und die besseren Exportperspektiven, den Zugang zum europäischen Markt, mehr Wettbewerb, die einfachere Organisation der Märkte und die bessere Anerkennung durch die öffentliche Meinung.
Bei den Risiken wurde am meisten der Preisrückgang bei den Produzenten genannt. Darauf folgt der Druck der Importprodukte auf die einheimische Produktion und Verarbeitung und schliesslich wurden die grössere Preisvolatilität und die für den Export ungünstigen Wechselkurse genannt.
Kein Wort über den Verlust von Arbeitsplätzen im landwirtschaftlichen Sektor, über die Versorgungssicherheit und die Rückverfolgbarkeit der Produkte. Auch nichts zur Problematik der Industrialisierung, nichts zur Konzentration der verbleibenden Produktion, nichts zur Mengensteuerung, nichts zur dezentralen Besiedelung und auch nichts zu den Konsumenten. Kurz, die Industrie wiederholt einmal mehr ihr ewiges Loblied auf den freien Markt und kümmert sich letztlich weder um ihre Zulieferer noch um die Konsumenten. Diese Argumente wurden uns schon hundertmal aufgetischt, beispielsweise, als wir Cassis de Dijon schlucken mussten. Die Folgen kennen wir.
Der Bundesrat wird Stellung nehmen
Das steht nun fest. Sobald die Parlamentssession im Dezember 2013 vorbei ist, wird sich die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) mit dem Dossier beschäftigen. Der Bundesrat sollte gemäss Plan noch vor Jahresende Stellung nehmen.
Im Bundeshaus geht das Gerücht um, die Botschaft des Bundesrates werde sich tendenziell für eine Öffnung aussprechen, jedoch Ausgleichsmassnahmen in noch ungenannter Höhe vorschlagen, die obligatorisch an alle Produzenten ausbezahlt werden sollten und ... warum nicht auch an die sensiblen Verarbeitungsbereiche? Diese Hypothese hat Bernard Lehmann (Direktor des BLW) höchstpersönlich während einer Ansprache geäussert! Man müsse alle Möglichkeiten erwägen, hat er betont.
Das BLW schreibt derzeit an einem Bericht zum Thema. Er sollte im Frühjahr 2014 fertig sein und namentlich die geschätzten Auswirkungen eines solchen Abkommens beziffern.
Die EU könnte uns ihre Bedingungen aufzwingen
Heute sind die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union zwar an einem toten Punkt angelangt, aber das bedeutet nicht, dass sie begraben sind. Die EU will ihre Bedingungen für die Landwirtschaft als Ganzes durchsetzen, sie hat für Branchenlösungen nicht mehr viel übrig. In dieser Ausgangslage wird es für nicht einfach sein, mit der EU über Schweizer Ausgleichsmassnahmen zu verhandeln. Brüssel könnte sie als Verzerrung des europäischen Marktes einschätzen und der Schweiz ihre Bedingungen aufzwingen. Das würde die ohnehin schon negativen Auswirkungen eines solchen Abkommens für die Schweizer Milchproduktion vervielfachen.
Sollte die Schweizer Bevölkerung Stellung nehmen?
Wenn wir nichts unternehmen, könnte sich die Zukunft der Schweizer Milchproduktion in den Gängen der Parlamente in Bern und Brüssel entscheiden. Auch wenn der aktuelle Vorschlag für die Liberalisierung der weissen Linie in Bern nicht durchkommt, ist das Thema damit noch lange nicht vom Tisch und wird bestimmt in Kürze wieder aufgenommen werden. Deshalb müssen in der Schweiz und in Europa rasch Rahmenbedingungen und Instrumente zur Regulierung des Milchmarktes eingeführt werden, damit die Produzenten für ihre Milch einen fairen Preis erhalten.
Es ist auch vorrangig, dass die Bauernfamilien sich auf die eine oder andere Weise in diese Debatte einbringen - sonst geht alles in den gediegenen Hallen der Parlamente über die Bühne. Die Bevölkerung hat auch noch ein Wort zu sagen. Müsste ein solches Abkommen angesichts der dramatischen Auswirkungen auf die schweizerische Landwirtschaft nicht sowieso vom Volk abgesegnet werden? Diese Frage muss gestellt werden und die Debatte sollte möglichst breit geführt werden.
Nicolas Bezençon