Wir Frauen unterstützen die Initiative für Ernährungssouveränität.
Die Frauen von La Via Campesina und Uniterre stehen für Ernährungssouveränität ein und zwar überall auf der Welt. Wir unterstützen diese Basisbewegungen, weil es wichtig ist, sich gegen die neoliberale Politik der Regierungen zu stellen und zukunftsfähige Lösungen aufzuzeigen.
In der Schweizer Verfassung steht bezüglich Gleichstellung von Mann und Frau:
Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit (Art. 8 Abs. 3).
Wir sind weit davon entfernt. Die Initiative für Ernährungssouveränität in der Schweiz fordert keine expliziten „neuen“ Rechte für die Frauen. Aber durch die Umsetzung der einzelnen Artikel können wir Frauen nur gewinnen.
Frauen hier und überall sonst auf der Welt haben einen sehr schlechten Zugang zu Land. In der Schweiz werden gerade mal 8 % der Höfe von Frauen geführt oder mitgeführt. Deshalb fordern wir: Mehr Menschen und nicht immer weniger Menschen auf die Höfe! Die Arbeit soll auf mehr Menschen gleichberechtigt verteilt werden, auf Männer, Frauen und junge Menschen.Wir wollen nicht immer mehr, immer grössere und immer teurere Maschinen, welche einzig zu einem immer grösserem Energiekonsum führen. Wir wollen auch nicht immer grössere Höfe, denn die Überbelastung wächst mit. Wir sind nicht nur dagegen, weil dadurch unsere finanziellen Belastungen immer grösser werden und wir dadurch in immer grössere Abhängigkeiten geraten, sondern weil es nicht zukunftstauglich ist. Bereits sind 50% des Kapitals der Bauernhöfe geliehenes Geld. Diese Schulden tragen wir Frauen mit, obwohl wir häufig wenig Entscheidungsgewalt über die getätigten Ausgaben haben.
Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Wenn grosse finanzielle Sorgen, physische und psychische Überlastungen aufeinandertreffen, kommt es häufig zu Auseinandersetzungen, die die Familien extrem fordern. Burn-out und Suizidgedanken erschweren das Zusammenleben auf den Bauernhöfen sehr. Wir können dem nur entgegenwirken, in dem wir diese Probleme öffentlich machen und nach den Ursachen suchen. Diese liegen nicht im individuellen Versagen, sondern im System. Ein System, das Lebensmittel zu Industriewaren macht, welche beliebig austauschbar sind. Wenn an den Schulen und Ausbildungsstätten immer noch <Wachsen oder Weichen> gepredigt wird, kann kein Umdenken stattfinden und die jungen Menschen bleiben in der Wachstumsfalle stecken.
Wir fordern einen korrekten und schweizweit einheitlichen Arbeitsvertrag für alle Menschen, die im Landwirtschaftssektor arbeiten. Nur ein Vertrag, der national ausgehandelt wird, kann der Gleichstellung von Mann und Frau, Lohnforderungen und Angleichungen der Arbeitsbedingungen Rechnung tragen. Eine Studie belegte vor kurzem, dass Frauen und andere Familienangehörige immer noch sehr häufig unentgeltlich und ohne soziale Absicherung auf den Höfen arbeiten. Deshalb wollen wir erreichen, dass auch Frauen auf den Betrieben Arbeitsverträge und damit einen Lohn bekommen. Damit fordern wir gleichzeitig eine legale juristische Vereinbarung ein, in der Frauen über ein eigenes Konto verfügen und sozial abgesichert (AHV etc.) sind.
Wir fordern den Erhalt des Bestimmungsrechts über unseres bäuerliches Saatgut
Freihandel bringt den grossen Agrokonzernen riesige Vorteile, auch bezüglich des Saatguts. Deshalb ist die Forderung wichtig. Wir wollen, dass wir unser lokales Saatgut weiterhin selber vermehren, anpflanzen, tauschen, teilen und verkaufen dürfen. Dieses Recht ist nicht selbstverständlich und in vielen Ländern bereits aufgehoben. In der Schweiz haben wir noch eine komfortable Situation. Aber trotz allem ist bäuerliches Saatgut sehr rar geworden. Die angepassten alten Sorten finden sich noch in Gärten der Bäuerinnen und häufig sind es auch die Frauen, die diese alten Sorten „hüten“. Ausserdem finden wir die alten Sorten in Urban-Gardening-Bewegungen, in Hausgärten, in Gemüsekooperativen und in wenigen, auf lokale Sorten spezialisierte, Zuchtbetrieben. Für den Ackerbau offerieren die Saatgutfirmen wenige sehr einheitliche Sorten, passende Dünger und Chemie-Cocktails inklusive.
Ausserdem gehört das Gentechnikverbot in die Verfassung, weil diese Technologie in der Landwirtschaft die Macht von Agrar-Multis extrem vergrössert, unsere Böden verseucht und uns in immer grössere finanzielle Abhängigkeiten treibt.
Die Initiative fordert die Stärkung der regionalen Strukturen
Gute lokale Strukturen kreieren Arbeits-und Verdienstmöglichkeiten für Frauen und Männer und damit die soziale Absicherung in den Regionen. So kann auch der Abwanderung der jungen Menschen in die Städte und der Arbeitslosigkeit auf dem Land Einhalt geboten werden. Die heutige Agrarpolitik diskriminiert die kleineren Höfe. Damit werden Frauen vermehrt in prekäre Arbeitssituationen gedrängt. Dies ist auch auf den hoch verschuldeten grossen Betrieben der Fall. Häufig arbeiten Frauen schlechter bezahlt in Teilzeitstellen oder arbeiten auf Abruf.Direktvermarktung und starke regionale Strukturen, wie Mühlen, Metzgereien, Bäckereien, Schreinereien sowie andere Kleingewerbe erlauben uns die Wertvermehrung in der Region zu halten. So bleiben die Regionen attraktiv und Schulen, Poststellen und lokale Behörden können in der Nähe gehalten werden. Das ist für uns eine grosse Entlastung und gibt uns Freiheiten. Z.B. Kinderbetreuung ist nicht mehr nur Aufgabe der Frauen, Tagesbetreuungsstätten würden eröffnet, Geburtskliniken würden nicht geschlossen und die medizinische Betreuung für Menschen, die diese benötigen, würde nicht privatisiert. Arbeitsplätze bleiben in der Region und damit werden neue Möglichkeiten auch für junge Menschen geschaffen.
Viele Agro-Multis und multinationale Konzerne haben den Hauptsitz in der Schweiz. Anstatt diese mit Steuergeschenken zu begünstigen, sollte der Staat mehr Steuern und z.B. die Einhaltung der Menschenrechte, überall dort wo diese Konzerne tätig sind, einfordern. Frauen und Kinder leiden am meisten an Hunger und Ungerechtigkeit. Deshalb müssen diese Konzerne endlich für ihren Raubbau an Mensch und Natur in Verantwortung gezogen werden.
Im Weltagrarbericht können wir lesen:
“Hunger ist in erster Linie ein ländliches Problem und kann nur lokal erfolgreich überwunden werden.” ("Hunger is primarily a rural problem and can effectively only be overcome locally.”) Und deshalb erklären wir: Die Industrialisierung in der Landwirtschaft verschärft den Graben zwischen „der armen und der reichen Welt“ und ist deshalb das Problem und nicht die Lösung!
Wir wollen, dass die Initiative für Ernährungssouveränität die Debatte über Ernährung und Landwirtschaft in der Schweiz öffnet und neu belebt. Wenn wir hier über die Wichtigkeit von lokalen Strukturen, über soziale Bedingungen und über das Verbot von Gentechnik in der Landwirtschaft, diskutieren, werden wir die weltweite Bewegung für Ernährungssouveränität stärken.
Position der Frauen zur Ernährungssouveränität-Initiative. (Uniterre, 27.1.2015)