Montag, 31 Oktober 2016

laboratory-385349webDie brutale Entlassung von 24 Führungskräften bei Agroscope im April war nur eine Etappe in der Reorganisation von Agroscope. Wie Hr Lehmann sagt, war es unmöglich diesen Prozess 100 % demokratisch durchzuführen, weil er sonst von Anfang an blockiert worden wäre. In dieser Reorganisation ist jedoch der Entscheidungsprozess eine Grundsatzfrage. Oder hat zum Beispiel der landwirtschaftliche Forschungsrat auch nur Alibifunktion und wie kann darin einer breitere Interessensvertretung zum Zuge kommen ?

 

 

Leider muss befürchtet werden, dass der Abbau der landwirtschaftlichen Forschung damit nicht einhält. Ist dies erstaunlich angesichts der Tatsache dass Agroscope vom Bundesamt der Landwirtschaft (BLW) abhängt und dieses wiederum dem Departement für Wirtschaft, Forschung und Bildung untersteht ? Es ist bekannt, dass dieses Departement sich mehr um gewisse Interessen des Finanzplatzes Schweiz, des Basler Industrien oder der Nestlé kümmert, als um Mittel um die bäuerliche Landwirtschaft zu verteidigen und zu entwickeln. Dass diese ganze Aufarbeitung der landwirtschaftlichen Forschung von der eidgenössischen Finanzkontrolle eingeläutet wurde, scheint offenbar auch auf der Ausarbeitung der strategischen Richtungszielen der Agrarforschung zu lasten.

Alle, auch das BLW sind sich einig, dass die Ernährungssysteme vor grossen Herausforderungen stehen. Es kann dabei auf den Abbau der klimaschädlichen Auswirkungen des Ernährungssystems, die Anpassung an die Folgen des Klimawandels, Pestizidreduktion, Einschränkung des Antibiotikaverbrauchs und die Verbesserung der Marktlage der Höfe unter effzienterer Nutzung der Ressourcen und die Verbesserung der Mehrwertschöpfung auf Produktionsebene verwiesen werden.

Dabei ist klar,dass für eine derartige Anstrengungen der Forschung bedeutende Mittel zugestellt werden müssen. Wie kommt es nun dass der Anteil der öffentlichen landwirtschaftlichen Forschung sinkt und dass Agroscope eine Fastenkur verabreicht wird ? Die landwirtschaftliche Forschung auch wenn sie auf das gesamte Ernährungssystem ausgeweitet wird bleibt das bedürftige Kind der öffentlichen Forschung. Wenn von einem globalen Bundesforschungsbudget von ungefähr 4 Milliarden Franken pro Jahr ausgeht, so werden zirka 350 Millionen Franken für die Agrarforschung eingesetzt ( einschliesslich ETH, Universitäten, FHS und Forschungsbetriebe). Agroscope hat im Moment nur ein Budget von 181 Millionen Franken, aber jährliche zusätzliche Abstriche von 7-8 Millionen sind eingeplant. Der Anteil privater Finanzierung an Forschungprojekten beläuft sich dabei auf 12 %. Angesichts der in den letzten Jahren gefällten Strategieentscheide und Entwicklung, liegt die Annahme auf der Hand, dass die Grundlagenforschung, die Investition in Technowissenschaft, sowie das Rennen um Publikationen in Fachzeitschriften, die auf die landwirtschaftliche Realität angewandte Forschung aushebeln wird.

Agroscope hat eine reichhaltige Geschichte mit Beiträgen an die schweizerische Landwirtschaftsproduktion und an der Wissenserweiterung sowie der Verbreitung von agronomischen Kenntnissen. Sowohl auf Ebene der Qualitäts- und Gesundheitskontrollen, als auch in der Pflanzenzüchtung haben ihre Erfolge zu ihrem Ansehen beigetragen. In der Pflanzenzüchtung sind es Getreide- und Futterpflanzensorten, neue Rebsorten für den Weinbau sowie Obst- und Gemüsesorten. Ganze Teile dieser Sortenforschung (zum Beispiel Obst- und Gemüsebau) sind schon aufgegeben worden. Trotzdem warden noch viele Forschungprojekte in unterschiedlichen Gebieten gemacht. In letzter Zeit haben jedoch eine Folge umstrittener Projekte dieses Bild geschwärzt. Um einige davon zu zitieren : Die über Jahre dauernde Fehlerhebung der Buchhaltungsdaten zur Ermittlung des landwirtschaftlichen Einkommens ; die Studie zu Umweltwirkungen welche kraftfutterbasierte Rindermast eine bessere Ökobilanz als Weidemast zuschreibt, Studienauftrag von Micarna ; die wissenschaftliche Begleitung der neuen Agrarpolitik 14-17 (Entkoppelung Produktion Direktzahlungs, Trennung zwischen landwirtschaftlicher Produktion und « Produktion von Ökologie, SAK Berechnungskriterien), Studien zur Koexistenz mit gentechnisch veränderten Organismen (NFP59).

Der Aufbau der Protected Site im Reckenholz würde ein ganzes Kapitel für sich beanspruchen, angesichts der Tatsache, dass dies in einem Land geschieht in dem Volk und Bauernstand gegen die Nutzung von gentechnisch veränderten Organismen auf den Feldern und auf dem Teller sind. Es ist klar dass da beschränkte Mittel völlig falsch eingesetzt werden und dass dieser sture Halten an einer Technik welche Bauern und Bevölkerung die Kontrolle über Saatgut entzieht nicht angebracht ist und die wissenschaftliche Neutralität in Frage stellt. Momentan werden Gentechexperimente mitÄpfeln (Resistenz Feuerbrand), Weizen (Rost und Proteinveränderung welche die Saccharoseabsorption steigert) und Kartoffeln (Mehltauresistenz) gemacht.

Viel allgemeiner muss die Frage zur Forschung im Zusammenhang mit dem Produktionssystem gestellt werden. Die Entwicklung bäuerlicher Landwirtschaft, von Ernährungssouveränität und Agroökologie braucht eine Demokratisierung der Forschung. In diesem Zusammenhang stehen die Aussagen von Hr Lehmann in einem ganz falschen Licht. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen den von der Agrarwissenschaft erlangten Erkenntnissen und der industriellen Landwirtschaft. Die zugrundeliegende Philosophie ist, dass der Mensch die Natur beherrschen kann und muss, weil er sich nicht mehr als Teil davon fühlt. Dieser Glaube sagt uns, dass die Wissenschaft alles künstlich herstellen kann, was sie zerstört, wie zum Bespiel Bodenfruchtbarkeit, oder das Finden neuer Moleküle, wenn die alten auf Resistenzen prallen, oder den genetischen Code zu verändern damit Pflanzen Insektizid produzieren. Es braucht diese Forschung nur für die Ziele der industriellen Landwirtschaft. In den meisten Fällen hat die bäuerliche Landwirtschaft eigene Antworten auf die Schwierigkeiten und Probleme der Praxis.

Das Beispiel der in Frankreich verbotenen Brennesseljauche ist emblematisch. Biopiraterie ist ein Diebstahl biologischer Grundlagen, genetischer Ressourcen, aber auch von Wissen über den Gebrauch dieser Ressourcen. Die vom Staat in Szene gesetze Deregulierung der Märkte berührt diese Fragen: Wenn traditionnelles Wissen einen ökonomischen Wert hat, ist es ein Handelsgut; es gehört in den privatrechtlichen Bereich und da es Besitzer gibt, kann und muss es dem Recht auf geistiges Eigentum unterliegen.

Die Zielsetzung und Arbeitsweise der konventionellen Forschung muss hinterfragt werden. Es braucht einen Paradigmenwechsel in der Wissensordnung, sowohl betreffend Inhalt, Bildung wie Weitergabe. Die Anerkennung traditionellen Wissens als wissenschaftliche Beiträge eigener Art würde unser eigenes Wissen nicht nur bereichern und es breiter abstützen, sondern auch Grundlagen und Wissenschaftsbetrieb hinterfragen. Unter diesen Voraussetzung wird moderne wissenschaftliche Erkenntnis nützlich. Die Agronomen und Landwirtschaftsberater welche im Rahmen der Agroökologie für nachhaltige Ernährungssysteme arbeiten, schreiten mit den Bauern zusammen vorwärts. Dazu braucht es eine Demokratisierung der Wissenschaft und einen respektvollen Dialog zwischen Bauern und Forschern. Rein technologische Lösung sind ungenügend, denn Wissenschaft ist ein Teil eines partizipativen Prozesses, in welchem Bauern und Bürger eine zentrale Rolle spielen. Statt passive Empfänger der Nebenwirkungen der Technologieentwicklung und Transfert zu sein bestimmen sie mit. Diese Strategien beinhalten eine Nahrungsproduktion welche den Planeten abkühlt, die Anpassung an Klimaveränderung mit sich trägt, die Entwicklung von partizipativen Formen von Wissensvermittlung und die Entwicklung von Netzen von Experimentierfeldern , die Anerkennung der zentralen Rolle der Frauen in der Agroökologie, Initiativen um die ruralen Regionen für die Jungen attraktiv zu machen, die Produzentenorganisationen und die lokalen Wirtschaftkreisläufe zu stärken, Allianzen zu bilden und für politische Rahmenbedingungen zu kämpfen, welche eine agroökologische Produktion und Konsum erlauben.

Eine Welt mit genüg Nahrung für alle, von gesunden Menschen in einer gesunden Umwelt produziert. Die Menschen werden aktiv, weil sie in lokale Kreisläufe eingebunden sind und in ihrer individuellen Verantwortung gefördert werden. Wenn wir uns helfen, uns selber zu helfen werden wir den Ansatz zu einer Lösung Richtung nachhaltigem Ernährungssystem realisieren. Dazu soll die Agrarforschung ihren Teil beitragen.

Rudi Berli
veröffentlicht in Uniterre Zeitschrift - September 2016