Seit zwei Jahren arbeitet Uniterre im Auftrag der Stadt Nyon am Aufbau eines Vereins für regionale Vertragslandwirtschaft mit dem Namen Les Jardins de Nyon. Nachdem alle Bauernfamilien der Region an einen Informationsanlass eingeladen wurden, haben wir die konkrete Gründung des Vereins angepackt. Ein Jahr danach wurde das erste Gemüse geliefert. Gian Paulo Berta erzählt, was bisher alles getan wurde und welche Herausforderungen die junge Struktur noch meistern muss.
Was habt ihr seit der Gründungsversammlung 2015 unternommen?
In aller Bescheidenheit: Wir haben keine Sekunde gefaulenzt! Wie das halt so ist im Vereinsleben, die Vorstandsmitglieder kriegen nichts geschenkt (lacht). Konkret mussten wir zuerst einen Standort für die Lieferungen finden. Wir haben viele bestehende Vereine angefragt, aber es hat nichts geklappt. In Nyon sind Räumlichkeiten eine Mangelware. Ein paar Mal wurden wir als profitorientiertes Unternehmen wahrgenommen, das hat uns einige Türen verschlossen. Ganz offensichtlich hat Vertragslandwirtschaft hier nicht dasselbe Image wie in Genf oder Lausanne. Schliesslich hat uns die Gemeinde einen Raum in der Rue Mafroi gefunden, den wir monatsweise mieten können. Als wir ihn das erste Mal gesehen haben, war alles feucht und kalt; Naturboden und Wände mit durchbrochenen Holzlatten. Alles in allem nicht gerade ein Ballsaal. Nun ja, wir sagten uns, dass wir daraus einen geeigneten und sympathischen Raum machen können. Wir haben den Raum mit Kies und isolierenden Planen ausgestattet. Das Resultat ist nicht schlecht und die Lage ist gut, gleich um die Ecke liegt die Place Pertant und die Anfahrtmöglichkeiten sind grosszügig. Ein Nachteil ist die Sichtbarkeit, man sieht den Raum fast nicht und viele Passanten und Bewohner kennen uns deshalb nicht.
Gleich nach der Vereinsgründung haben wir mit der Kommunikation begonnen, damit wir bekannt werden und Mitglieder finden. Auch die Gemeinde hat auf ihrer Webseite eine Info aufgeschaltet. Sven Ahlborn hat unsere Präsenz auf den sozialen Medien entwickelt und an verschiedenen öffentlichen Anlässen waren wir mit einem Stand und Flyern anwesend. Das war relativ aufwendig, vor allem, weil alles auf freiwilliger Basis gemacht wurde.
Und das Resultat?
Wir sind froh, dass wir mit den Lieferungen begonnen haben. Es war für uns alle wichtig, endlich unsere Produkte zu liefen, mit den Mitgliedern sprechen, kurz, das ganze Projekt menschlich zu gestalten. Hingegen haben wir noch nicht so viele Mitglieder, wie gehofft. Das Ziel waren rund hundert Mitglieder nach dem ersten Jahr. Derzeit haben wir 42. Das ist zwar ein guter Anfang, aber wir müssen noch mehr investieren, um das Projekt zu verstetigen.
Was braucht es noch, um neue Mitglieder zu gewinnen?
Vielleicht liegt es an der Sichtbarkeit, aber ich denke, es ist eben auch wichtig, die Werte der regionalen Vertragslandwirtschaft zu vermitteln. Wir müssen mehr über die Probleme der industriellen Agrar- und Lebensmittelproduktion reden und aufzeigen, dass Vertragslandwirtschaft eine geeignete Lösung dafür ist. Das ist positiv. Es ist ganz einfach, bei einem Projekt für Vertragslandwirtschaft können alle mitmachen. Und die besten Gründe sprechen dafür! Wir sind alle Teil einer Veränderung. Das muss auch gesagt werden. Das Prinzip „Angebot und Nachfrage“, hier die Produzenten, dort die Kunden, das ist zwar schön und recht, aber wir gehen einen Schritt weiter. Wir sind alle aus Nyon und wir bauen uns unsere eigene Lebensmittelversorgung auf. Für mich ist dieser Punkt zentral, das ist Ernährungssouveränität. Wer mitmacht, versteht und teilt diese Logik. Aber es ist nicht immer einfach, das zu erklären, das braucht Zeit.
Ausserdem sind wir in Nyon das erste Projekt für Vertragslandwirtschaft. Wir müssen eine Vertrauensbasis aufbauen, in den hiesigen Vereinen und andern Milieus bekannt werden. Auch die Mund-zu-Mund-Propaganda spricht für uns, braucht aber Zeit. Viele sind verunsichert, weil sie das System nicht kennen. Wir müssen oft erklären, wie alles funktioniert. In Genf hat die Vertragslandwirtschaft erst nach einigen Jahren den Durchbruch geschafft. In Nyon stecken wir noch in den Anfängen.
Erhält das Projekt weiterhin Unterstützung von der Stadt Nyon?
Ja, wir haben eine sehr gute Beziehung zur Stadt, insbesondere zum Amt für Energie und nachhaltige Entwicklung. Es ist wichtig, dass sich die politischen Behörden um grundlegende Fragen wir Ernährung, Lebensmittelpreise, Saatgut, Stadt-Land-Beziehungen usw. kümmern. Diese Fragen sollten ständig diskutiert werden. Die Stadt hat uns Kommunikationsmittel zur Verfügung gestellt und uns einen Lieferraum gefunden, das ist toll.
Wie verläuft so eine Lieferung?
Wir liefern alles an einen Ort in Nyon. Die Lebensmittel sind nicht verpackt, sondern offen in Gemüsekisten und die Mitglieder stellen sich ihren Gemüsekorb selbst zusammen. Die Mengen werden nach Korbgrösse festgelegt. Wir haben zwei Korbgrössen, einen kleinen für 1-2 Personen und einen mittelgrossen für eine kleine Familie. Der mittelgrosse Korb enthält Gemüse für rund 24 Franken, das sind je nach Verfügbarkeit mehr oder weniger Produkte. Derzeit haben wir 31 mittelgrosse und 11 kleine Körbe. Pro Jahr werden 33 Lieferungen gemacht.
In den Korb kommen hauptsächlich frische Produkte von Nicolas Pradervand aus Signy (Früchte), Denis Anselmo und Gian Paolo Berta vom Hof "Bocage de l’Oujon" in Coinsins (Gemüse), Pascal Chollet vom Hof "la Petite Lignière" in Gland (Erdbeeren und Spargel), die Familie Mugnier aus Duiller (Früchte und Gemüse) und die Familie Olivier vom Hof "les Perrettes" in Eysins (Früchte und Gemüse). Seit Kurzem macht auch die Familie Jaggi von Coinsins (Getreide und Öle) mit, und aus seine Getreide bäckt Raphaël Brot. Diese Brote kommen manchmal auch in den Korb und wir verkaufen sie an unserem Stand. Seit diesem Frühling gibt es ausserdem Joghurt und Käse von Familie Baumgartner des Bauernhofes Bois-Bogi und Tofu aus der Region von Min aus Coinsins zu kaufen. Wir wollen möglichst vielfältige Produkte anbieten und das Angebot und die vertraglichen Möglichkeiten in Zukunft erweitern
Welches sind die Herausforderungen der nächsten Jahre?
Ein zentrales Element ist die finanzielle Stabilität und die Anstellung einer bezahlten Arbeitskraft, um die Administration zu erledigen. Dieses Jahr wird noch alles freiwillig erledigt, deshalb konnten wir einen Gewinn verbuchen. Wir brauchen ein gutes Verwaltungs- und Buchhaltungssystem. Wir haben schon andere Projekte für Vertragslandwirtschaft besucht, um zu sehen, wie sie funktionieren und wie alles verwaltet wird. Die Fédération romande d’agriculture contractuelle de proximité (FRACP) hat uns geholfen, diese Kontakte herzustellen. Bei mehreren Projekten ist ein OpenSource-Programm für die Verwaltung und Buchhaltung in der Testphase. Wir beobachten das ganz genau.
Eine weitere Herausforderung für die Struktur ist die Versorgung mit Gemüse. Jean Weber will aufhören und wir müssen einen Nachfolger finden. Das ist nicht einfach. Am liebsten würde ich selber wieder Gemüse produzieren. Als ich noch im Tessin wohnte, habe ich für das Projekt Conprobio (www.conprobio.ch) Gemüse produziert. Ich habe darüber bereits mit Denis Anselmo gesprochen, ein Freund, der ebenfalls Gemüsebauer ist und er wäre auch motiviert. Wir haben Jean Weber besucht und ihm vorgeschlagen, seine Gemüseproduktion zu übernehmen. Das war aus verschiedenen Gründen leider nicht möglich. Danach haben wir andere Bauern der Region angefragt und einen Interessenten gefunden. Er hat uns 4000 m2 zur Verfügung gestellt, um Gemüse anzubauen. Diesen Frühling haben wir Radieschen, Mesclun- und Rucola-Salat, Zwiebeln und andere Gemüse gesät. Das ist ein neues Kapitel in meinem Leben, das ohne die Jardins de Nyon vermutlich ganz anders verlaufen wäre ... Ich freue mich schon auf die nächsten Kapitel. Eine Conprobio in Nyon? ... Vielleicht.
Interview geführt von Nicolas Bezençon
Übersetzung: Stefanie Schenk
in Journal d’Uniterre veröffentlich - Juni 2016