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Getriebene !

Handel gibt es, seit es Menschen gibt: Kreditgeschäfte und erst später das Münzgeld begründen die heutige Schuldenwirtschaft. Der Mensch wurde zur Konsument*in, später zu Schuldner*in gemacht. Produziert wird rund um die Uhr, Waren werden um den ganzen Planeten transportiert und schlussendlich konsumiert. Wenn da Sand – oder ein Coronavirus – ins Getriebe kommt, ist der Teufel los. Ganze Branchen sind gefährdet oder gehen Pleite. Jetzt, nach 6 Monaten Lockdown, soll der Staat retten, was noch zu retten ist: Die Swiss, die gar keine Schweizer Airline mehr ist, Kurzarbeit für das Gewerbe und das Hoffen auf weitere Unterstützung. Viele Konzerne, wie Sulzer oder Schindler, haben aufgrund gesunkener Gewinne bereits Entlassungen angekündigt, andere verlegen ihre Produktion in Billiglohnländer. Schwer trifft es in der Schweiz die rund 200’000 Beschäftigten in prekären Arbeitssituationen wie Zeitarbeit und Arbeit auf Abruf, z.B. in der Gastronomie, Hotellerie und im Reinigungsgewerbe.

Die Weltenuhr tickt plötzlich anders. Nehmen wir das Auto oder den neuen Traktor als Beispiel. Würde der bisherige nicht noch locker weitere 10 Jahre seinen Dienst tun? Was, wenn alle den Kauf verschieben würden? Katastrophe! Es gingen blitzschnell viele Arbeitsplätze verloren. Anderes Beispiel: Die Schweizer Bevölkerung will nicht noch mehr Käse essen. Es wird mehr als genug produziert, zusätzlich kommt sehr viel Käse aus der EU in die Schweiz, also exportieren wir die Überschüsse. Ein Grund weshalb der Schweizer Bauernverband in der Regel am Schluss jedes Freihandelsabkommen durchwinkt, denn der Käse muss ja irgendwo «verbraucht» werden.
Entschuldigt die drastische Vereinfachung. Die eigentliche Frage, wie es zu dieser ungesunden Überproduktion in der Landwirtschaft kommt, darf nicht länger ein Tabu bleiben.

Auch die Schweizer Wirtschaft ist auf der Suche nach neuen Absatz- und Wachstumsmärkten z.B. in Indonesien und in den Mercosur1-Staaten gelandet: Bedienen, erobern, um die Überschüsse loszuwerden. Wie in Zeiten des Kolonialismus. Neue Erdteile wurden „entdeckt“, erobert, kolonialisiert und die Menschen vor Ort versklavt. Heute geht es vornehmer mithilfe von bilateralen oder multilateralen Freihandelsabkommen. Diese führen heute in den betroffenen Ländern weder zu mehr Wohlstand noch zu mehr Zufriedenheit, im Gegenteil. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) kommt in seinen Studien zum Schluss, die ökologischen und ökonomischen Agrarauswirkungen in der Schweiz2und in den Mercosur-Ländern seien gering. Das ist zu kurz gegriffen, denn die Schweiz ist Teil eines Systems, einer weltweiten Konkurrenzwirtschaft, angetrieben von einer ungesunden Wachstumsspirale. Das macht uns zu Getriebenen dieses Systems und das hat sehr wohl grosse Auswirkungen auf die Menschen, auf die Umwelt und aufs Klima. Wir glauben nicht an Wirtschaftswunder, sondern daran, dass wir uns kritisch und entschlossen gegen weitere Freihandelsabkommen stellen müssen.

1 Mercosur Vollmitglieder: Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay

2 Im Rahmen der EFTA: Norwegen, Island, Fürstentum Lichtenstein, Schweiz

Ulrike Minkner, Bäuerin und Sekretärin Uniterre

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APPELL AN DIE VERNUNFT !

Im April wandten wir uns mit einem offenen Brief an Bundesrat Guy Parmelin, in dem wir die Entgleisungen der jüngsten Entscheidungen bezüglich der Importe, insbesondere von Rindfleisch und Eiern, anprangerten.

Ebenfalls im April machten wir unsere Ablehnung des Imports von 1'000 Tonnen Butter bekannt. Im März kämpften wir an der Seite der Gemüsebäuerinnen und -bauern für die Wiedereröffnung der Märkte in den Städten, glücklicherweise mit Erfolg.

Es waren Appelle an die Vernunft und den gesunden Menschenverstand. Die Coronavirus-Krise verdeutlicht unsere grundlegendsten Bedürfnisse: Sicherheit, Essen, Trinken und die Wahrung der Menschenwürde. Wenn das Unwahrscheinliche eintritt und die Grenzen sich schliessen, bedeutet autonom zu sein, frei zu sein. Zwar bietet uns die Digitalisierung eine kostengünstige Globalisierung auf dem Silbertablett, aber für eine reiche Nation wie die unsere war der Schock, als wir feststellen mussten, dass uns dies sehr wenig nützt, umso grösser. Ohne die Unterstützung aus fernen Ländern, deren Ressourcen wir in der Regel schamlos ausbeuten, kommen wir nicht über die Runden. Wir sind beispielsweise abhängig von ihrer Arbeitskraft zur Herstellung landwirtschaftlicher Produkte oder von Gütern des täglichen Bedarfs. ,

Unter dem Vorwand, die Sicherheit der Bürger*innen zu gewährleisten, reagierte die politische Klasse in einer Weise, die insgesamt vorhersehbar war. Die Erleichterung von Importen ist eine Notfallreaktion. Die Schliessung städtischer Märkte bedeutet, nicht wirklich über mögliche Lösungen zur Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern nachzudenken. Die Zeit mag ein knappes Gut gewesen sein, die Milliarden an Unterstützungsgeldern nicht. Umso besser, wenn dadurch unsere KMUs gerettet werden.

Die Bürger*innen reagierten auf unterschiedlichste Weise. Sie nahmen sich das Recht, nachzudenken und Solidarität zu zeigen. Sie gingen zurück auf die Bauernhöfe, um lokal einzukaufen. Sie stellten aus dem, was ihnen zur Verfügung stand, Stoffmasken her. Sie improvisierten als Lehrer*innen. Sie reagierten auf den Aufruf der Krankenhäuser, den Gesundheitsteams freiwillige Unterstützung anzubieten. Sie nutzten ihr Talent, um allen unentbehrlichen Berufen ihre Dankbarkeit zu zeigen, auch denen, die am schlechtesten bezahlt werden. Sie kümmerten sich um ältere und verletzlichere Menschen.

Solidarität, Teilen und gemeinsames Handeln war die Chance für uns, ein Stück Autonomie zurückzuerobern angesichts der vielen unbekannten Parameter in dieser Krise. Viele Schweizerinnen und Schweizer handelten zu Beginn aus Pflichtgefühl. Aber in vielen Fällen ist es schlussendlich zu einer Freude geworden und hat dem Leben einen neuen Reiz verliehen.

Vanessa Renfer, Bäuerin und Uniterre Sekretärin

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UND DANACH ?


Wir schreiben diesen Leitartikel mitten in einer Phase von Einschränkungen und mit der Hoffnung, dass sich bis Mai jeder und jede unserer gefährlichen Abhängigkeit von Importen (Lebensmittel, Brennstoffe, Rohstoffe für Unternehmen, pharmazeutische Produkte usw.) bewusst wird. So beschloss Russland, der weltweit führende Weizenexporteur, am 3. April 2020, seine Exporte verschiedener Getreidesorten, darunter auch Weizen, bis zum 30. Juni zu begrenzen. Dies beweist, dass im Falle einer Knappheit nationale Interessen immer Vorrang haben werden.

Martina Brun schreibt, dass die Pandemie die Schwächen unseres Systems entlarvt: Unsere Abhängigkeit von Importen macht die Schweiz vor allem in Krisenzeiten vom guten Willen und den politischen Strategien von Drittstaaten abhängig. Die Schweiz muss daher Anstrengungen unternehmen, um ihre Autonomie und Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zu erhöhen. Dies erfordert eine starke Agrarpolitik, die die heimische Produktion und kurzewiderstandsfähige Lieferketten unterstütz.

Unser Wald ist ein Gut, das es zu erhalten und aufzuwerten gilt! Als hocheffiziente Kohlenstoffsenke hat er auch ein interessantes Potenzial als Brennholz (Erhöhung der Energieautonomie) und für das Baugewerbe. Die Schweizer Holzindustrie muss gestärkt werden, damit die forst- und holzbezogenen Berufe überleben und sich eine gesunde lokale Industrie darum herum entwickeln kann. Während des zweitägigen Anlasses "Widerstand am Tellerrand" bekräftigten die rund 200 Anwesenden, welche Bedeutung sie der lokalen Landwirtschaft beimessen, einer Quelle der Verbundenheit von Natur und Tierwelt, respektvoll gegenüber Männer und Frauen, Bauern und Bäuerinnen und Arbeiter*innen, in der Schweiz und überall auf der Welt. Jeder und jede sollte ein Lohn erhalten und unter soziale Bedingungen leben, die ein würdevolles Leben ermöglicht!

So ist es inakzeptabel, dass wir Obst und Gemüse konsumieren, das die Preise der einheimischen Produktion massiv unterbietet und von unterbezahlten Arbeitern* ohne Versicherung und Schutz produziert und geerntet wird. Es ist inakzeptabel, dass wir importiertes Fleisch konsumieren, das über Tausende von Kilometern transportiert wurde und dafür im Herkunftsland die Arbeiter*innen ausgebeutet werden! Indem wir diese Produkte importieren und konsumieren, sind wir mitverantwortlich für menschliche Tragödien!

Es ist an der Zeit, ein System zu entwickeln, das auf Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Verantwortung beruht. Es ist an der Zeit, dass alle Beteiligten mit Führungsverantwortung in allen Sektoren, einschliesslich der Grossverteiler, über die Auswirkungen ihres Handelns sei es auf die Bauernfamilien oder die Arbeiter*innen auf den Feldern, bei der Verarbeitung, der Verpackung oder im Warenverkehr, Rechenschaft ablegen.

Michelle Zufferey, Sekretärin Uniterre

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Schutz

Sprechen wir über Freihandel. Es geht nie um freien Handel auf Augenhöhe oder gleichberechtigte Handelsbeziehungen, sondern um die Durchsetzung mächtiger Interessen von multinationalen Konzerne und Investor*innen. Bei den geistigen Eigentumsrechten oder beim Saatgut sind sie z.B. hochprotektionistisch, hier bildet das Wirtschaftsabkommen mit Indonesien keine Ausnahme. Den Hintergrund analysiert die deutschen Soziologin Maria Mies treffend: „Diese wachsende Ungleichheit zwischen und innerhalb der Länder ist aber nicht zufällig, sondern ist ein notwendiges Strukturelement der neoliberalen Globalisierung. Diese Ungleichheit ist für die Konzerne das, was sie als „komparative Kostenvorteile“ in ihrer Konkurrenz um die billigste Arbeitskraft und die laxesten Umweltbedingungen nutzen.“ Gemäss Globalisierungskritiker Noam Chomsky wird im Gegensatz zur Ersten die Dritte Welt zur Liberalisierung gezwungen. Mit verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt.
Ein weiteres Kennzeichen ist, dass dabei nach Möglichkeit sämtliche demokratischen Entscheidungsprozesse umgangen werden. Freihandel soll nicht vors Volk und wird völlig instransparent ausgehandelt. Das war beim Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT) der Fall (Beitritt 1966) und bei der World Trade Organisation (WTO) 1995 ebenso. Mit dem Abkommen (CH-Indonesien) wird die Nachhaltigkeit ins Feld geführt und der neue Verfassungsartikel bemüht (Art. 104 d): „grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen“. In der Präambel des Wirtschaftsabkommens sind die Grundwerte der UNO für nachhaltige Entwicklung verankert, ebenfalls Bestimmungen zu Umweltfragen und Arbeitsnormen sowie die nachhaltige Bewirtschaftung des Pflanzenölsektors, um nur einige Punkte zu nennen. Papier ist geduldig! Es fehlen griffige Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten. Wir bevorzugen den Schutz unserer einheimischen Landwirtschaft und einen möglichst weitgehenden Verzicht auf Palmöl, das die Umwelt in Indonesien zerstört und dessen gesundheitliche Risiken bekannt sind.
Mit dem Vorstandbeschluss vom 14. Februar 2020 unterstützt Uniterre das Referendum gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien, das am 20. Dezember 2019 vom Parlament angenommen wurde. Damit wird erstmalig ein Referendum gegen ein Freihandelsabkommen in der Schweiz ergriffen. Viel Zeit bleibt uns allerdings nicht: Einreichefrist ist der 9. April 2020. Jetzt den beigelegten Unterschriftenbogen unterschreiben und auch umgehend zurücksenden. •

Mathias Stalder, Uniterre Sekretär


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Der Wind dreht sich.


Am 23. September 2019 hat die Genossenschaft Faire Milch die Lancierung von Faireswiss gefeiert: Die faire Milch und fünf Weichkäsearten werden nun in allen Filialen von Manor angeboten. Ein Jahr zuvor, auf den Tag genau, haben wir über die Initiative zur Ernährungssouveränität abgestimmt. Auch wenn wir 2018 die Schlacht verloren haben, zeigt uns der sofortige Erfolg der Fairen Milch - eine hervorragendes Beispiel für Ernährungssouveränität -, dass sich die Grenzen verschieben!

Am 11. Oktober 2019 startete Willy Cretigny - Präsident des Schweizerischen Verbandes unabhängiger Winzer und Uniterre-Mitglied - einen Hungerstreik, um die Inkohärenz der Agrarpolitik anzuprangern, die vor allem Importe fördert und gleichzeitig die lokale Weinproduktion schwächt. Und es ist nicht die einzige betroffene Branche: Auch der Getreidesektor, vor allem die Produzent*innen von Brotgetreide, befinden sich in einer schwierigen Phase. Der Artikel "Wer verdient am Brot? " wird die Komplexität des Themas aufzeigen.

Willy Cretigny's Hilferuf hat zur Ausarbeitung eines Manifests an die Adresse vonPolitiker*innen geführt; für dieses Manifest brauchen wir auch Sie! Alles wird auf Seite 6. erklärt.

Am 20. Oktober 2019 erlebten die Grünen und Frauen einen historischen Sieg bei Parlamentswahlen. Selbst wenn dieser Umbruch einige von uns Landwirt*innen erschreckt oder entmutigt, können wir ihn auch positiv gestalten. Und wir werden Lösungen finden, die es uns ermöglichen, Ökologie, Gerechtigkeit und Produktion in Einklang zu bringen. In diesem Sinne haben wir nach lebhaften Diskussionen im Uniterre-Ausschuss endlich zu den Initiativen "Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide" und "Für sauberes Trinkwasser und gesunde Lebensmittel" Stellung bezogen. Ich werde hier nichts verraten. Unsere Argumente finden Sie auf Seite 6.

2019 geht zu Ende. 2020 stellt uns vor große Herausforderungen: die Diskussion über die Agrarpolitik 22+, die derzeit in Unterzeichnung befindlichen Freihandelsabkommen, die Einrichtung des neuen Parlaments oder die Abstimmung über die beiden oben genannten Initiativen, um nur einige zu nennen.

In der Zwischenzeit, auch wenn es noch ein wenig früh ist, wünsche ich Ihnen eine schöne Weihnachtszeit mit Ihren Familien, Freunden und Nachbarn! Auch im Jahr 2020 stehen wir Ihnen bei neue Abenteuern zur Seite!

Berthe Darras, Bäuerin und Uniterre-Sekretärin



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Vom Schwindel

... und dem Schwindeligwerden. Wer hätte vor 10 Jahren gedacht, dass das Wasserschloss Schweiz angesichts des Klimawandels auf den Prüfstand steht, allen voran die Landwirtschaft. Die Hitzeperioden und Extremwetter setzen unseren Bäuerinnen und Bauern stark zu. Umso mehr muss sich Uniterre für eine nachhaltige und klimaschonende Landwirtschaft einsetzen. Deshalb unterstützen wir auch das Bündnis für eine Landwirtschaft mit Zukunft, die den Brückenschlag zur Klimabewegung herstellt.

Die Rappenspalter von der Migros graben den Milchbäuer*innen mit der durchgesetzten Basis-Preissenkung von 2,5 Rappen vom 1. Juli 2019 das Wasser ab. Emmi zog ebenfalls mit einer Preissenkung von 0,4 Rp. nach. Gemeinsam mit weiteren bäuerlichen Basisorganisationen demonstrierten wir am 16. Juli 2019 dagegen vor dem Shoppyland Schönbühl. Uniterre-Mitglied und BIG-M-Sprecher Werner Locher schreibt in einem Brief an die Migros: „Sie wollen Ihren Konsumenten zeigen, dass Sie für die Heimat einstehen und verteilen an Schwingfesten Gratismützen mit der Aufschrift ‘Heimatliebe’. Aber was soll das? Das ist doch keine Heimatliebe, wenn die Migros genau diejenigen ruiniert, die zu einem wesentlichen Teil die Kultur und die Landschaft dieser Heimat mitgestalten.“

Schwindelig wird mir bei der Aussage von Bio Suisse-Geschäftsführer Balz Strasser in einem Interview vom Bieler Tagblatt: „Mitarbeitende von bio-zertifizierten Betrieben arbeiten nicht für Hungerlöhne.“ Die 2000 ausländischen bio-zertifizierten Betriebe unterstünden den strengen sozialen Anforderungen von Bio Suisse. Realität ist eine andere – der Mindestlohn wird nicht eingehalten, auch die gewerkschaftliche Vertretung wird verhindert, wie die spanische Basisgewerkschaft SOC-SAT gerade bei «Bio Sabor» in Almeria konstatiert. Trotzdem wird «Bio Sabor» die Knospe nicht entzogen. Auch in Sachen fairer Handel leistet sich der Knospenverband eine Verrenkung sondergleichen, in dem sie eine Preissenkung bei Roggen, Weizen und Dinkel durchsetzt. Trotz wachsender Nachfrage sollen tiefere Preise die Nachfrage sichern, so das Argument. Die Strategie der Margenverbesserung auf Kosten der Bäuerinnen und Bauern setzt sich auch bei Bio durch. Bio soll im Verkaufsregal in direkter Konkurrenz mit konventionellen Produkten stehen.

Die veganen Burger von Beyound Meat und Impossible Foods sichern Traumrenditen für die Fleisch- und Lebensmittelindustrie und erobern Supermarktketten und Restaurants im Sturm. Die Burger aus pflanzlichen Proteinen vermarktet sich als sauber, umweltfreundlich und gesund. Unbestritten ist die Fleischindustrie mit ihrem hohen Ressourcenverbrauch mitverantwortilch an der Klimaerwärmung, hingegen ist eine standortangepasste nachhaltige und auf graslandbasierte Tierhaltung sinnvoll, denn sie baut Humus auf, trägt zur Biodiversität bei und sichert die Einkommen der Bauernhöfe in der Schweiz.

Mathias Stalder

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Wem dient's ?


Die Zeit soll Fortschritt bringen. Gesellschaftlich gesehen ist Fortschritt eine Evolution der Zivilisation hin zu einem Ideal. Ist es das, was wir gerade erleben?

In den letzten Jahren hat der Fortschritt für die Bauernfamilien einen bitteren Beigeschmack bekommen. Die angebliche Notwendigkeit, die Grösse der Betriebe und der Herden zu erhöhen, hat viele LandwirtInnen dazu gebracht, ihre Tätigkeit zugunsten ihrer Nachbarn aufzugeben. Damit wurde für die Verbleibenden die Arbeitsbelastung weiter erhöht. Und für diejenigen, die gehofft hatten, gelassen in den Ruhestand gehen zu können, sorgen Diskussionen um neue Steuerbestimmungen für grosse Verunsicherung. Die Situation für die Milchbäuerinnen und Milchbauern verschärft sich zusehends. Die grossen Handelskonzerne inszenieren Krisen und unsere Vertreter sind zu Komplizen geworden, indem sie behaupten, dass sich der Markt von selbst regulieren muss.

Währenddessen werden wir alle durch Nachrichten über Klima, Biodiversität und den Zustand unserer Gewässer vorzeitig alt und grau. Fast alle sind sich einig, dass wir handeln müssen, aber wer ist wirklich bereit, den ersten Schritt zu tun? In der Lebensmittelproduktion entstehen allmählich Lösungen, und einige Ideen warten nur darauf, umgesetzt zu werden. In dieser Hinsicht scheint die sakrosankte Digitalisierung der Landwirtschaft bereit zu sein, uns auf Plattformen die Antworten auf die Herausforderungen von morgen zu bieten. Dies gilt zum Teil, z.B. wenn damit die Tür zu mehr Präzision bei mechanischen oder chemischen Eingriffen geöffnet wird. Viel weniger gilt dies aber, wenn wir uns die Datenmengen vorstellen, die aus der Landwirtschaft an die Ernährungsindustrie, an die Agrochemie und die Branchenriesen übermittelt werden.

An die gleichen Konzernkonglomerate, welche bereits sehr viel Macht haben und auch zu grossen Teilen für die Verschmutzung auf globaler Ebene verantwortlich sind... Das ist nicht nur unklug sondern kann auch gefährlich sein.

Viele Fortschrittsgedanken sind nicht global gedacht. Die zahlreichen Verknüpfungen in einem komplexen System werden nicht berücksichtigt. Das Beispiel, der von der Migros im Wallis geplanten Megagewächshäuser für Paprika, ist vielsagend: Ist dies die ideale Lösung? Schnell wird applaudiert, wenn die lokale Produktion ausgebaut wird. Hier aber wird die Arbeit von GemüseproduzentInnen direkt in die „Hände“ der Industrie gelegt. Und wie können wir das Ungleichgewicht austarieren, das das Vorgehen von Migros in den Ländern verursachen wird, in denen Paprika ursprünglich angebaut wird und und an deren Klima sie perfekt angepasst ist?

Die Deklaration der UN für die Rechte der Bäuer
innen und Bauern und anderer im ländlichen Raum tätiger Personen und die Ernährungs-
souveränität sind von grosser Bedeutung und sind Garant für eine gesunde Ernährung, welche unsere Ressourcen, unsere Tiere und unsere Bauernfamilien erhält. Mit Begeisterung werden wir weiter auf dieses Ziel hinarbeiten.

Vanessa Renfer
Bäuerin und Vorstandsmitglied Uniterre (Sektion Neuenburg)

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Schafe und Filz


Kontinuierlich nimmt die Zahl der Schafhalterinnen und Schafhalter ab. Das Lammfleisch ist zwar sehr beliebt, aber etwa die Hälfte des Konsums wird importiert. Im ersten Halbjahr 2016 waren es 4035 Tonnen. 60 Prozent des Imports kommen aus Neuseeland oder Australien. Meist sind es Edelstücke, die in der Schweiz gerne gegessen werden. Die Inlandproduktion dagegen ist rückläufig, 2015 waren es noch 4415 Tonnen. In der Schweiz gibt es hauptsächlich im Frühling und im Herbst nach der Alp Lammfleisch. Dass auch Fleisch eine Saison hat, ist vielen Menschen nicht bewusst.

Durch die Beiträge des Bundes in den letzten Jahren an die Wollverarbeitung konnte zumindest verhindert werden, dass Wolle in der Schweiz gänzlich zu einem Abfallprodukt wurde. Nun stehen diese Verwertungsbeiträge einmal mehr zur Debatte. Eine schlechte Idee und eine schlechte Nachricht für die vielen kleinen und grösseren Initiativen, die mit Kreativität versucht haben, die Wolle als Schweizer Naturprodukt wieder beliebt zu machen.

Das dumme Schaf gibt es nicht. Schafe sind Tiere mit grossem Bezug zu ihrem Nachwuchs. Als ausgeprägtes Herdentier trägt es zur Nutzung unsere Alpen und vieler kleiner ◊Randparzellen“ bei. Aber es gibt auch Wölfe, die sich mit Schafspelzen tarnen; erkennt man die Wölfe nicht, wird’s gefährlich.

Als Bundesrat wirkte Herr Schneider-Ammann wie ein solcher Wolf im Schafspelz. Während sein öffentliches Auftreten oft eher harmlos daher kam, so war seine wirtschaftsliberale Linie knallhart, wenn es um die Interessen der Schweizer Konzerne ging. Ethik und Moral waren offensichtlich zweitrangig; ◊aber die Wirtschaft habe er in der Schweiz zum Brummen gebracht“, lobten ihn sogar seine Kritikerinnen und Kritiker. So hat Herr Schneider Ammann in seiner Zeit als Wirtschaftsminister mit 11 Ländern Freihandelsabkommen abgeschlossen, grad kürzlich das mit Indonesien. Die Problematik rund um die Abholzung der Regenwälder dort war dabei nebensächlich und einmal mehr wurden einzig und allein die Interessen der Konzerne (wie Agrochemi oder Nahrungsmittelindustrie) vertreten, für Herrn Schneider Amman und seine Lobbyisten ein Bombengeschäft. Wie das mit den Klimazielen zu vereinbaren ist, bleibt ungeklärt.

Herr Guy Parmelin das Wirtschaftsdossier von Herrn Schneider-Amman übernommen. Im Bundesamt für Landwirtschaft wird ein Nachfolger für den Direktor Herrn Lehmann gesucht. Köpfe werden ausgewechselt, aber um die Politik in neue Bahnen zu befördern, braucht es mehr als das. •

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Zukunftsvision!

Auch nach mehr als 60 Jahren Geschichte und Kampf hat sich nicht viel verändert: Die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft schmilzt wie Schnee an der Sonne dahin, Bauerhöfe werden verlassen und Ackerland verwächst mit immer grösser werdenden Höfen, in denen sich die Bäuerinnen und Bauern isoliert wiederfinden. Das sind keine guten Nachrichten. Dennoch gibt es Lichtblicke: Die Entwicklung der Direktvermarktung, Hofläden, Vereine von KonsumentInnen und ProduzentInnen, die gemeinsam regionale Vertragslandwirtschaft fördern. Aber auch Bäuerinnen und Bauern, jung und alt, die sich der Herausforderung einer innovativen, originellen Produktion stellen. Und zwar ausserhalb der traditionellen Ackerfurchen. Es sind dies jene Furchen, die durch die Agroindustrie und den Liberalismus so tiefgepflügt wurden, dass dort nur noch Staub und Steine übrig geblieben sind.

Nach der Philosophie der Ernährungssouveränität wollen wir in Zukunft gemeinsam mit
anderen Organisationen neue Wege gehen. Einerseits, um die Anliegen und den Berufsstand der Bäuerinnen und Bauern zu verteidigen und andererseits, um die gerechtfertigten Erwartungen der KonsumentInnen zu berücksichtigen. Wir müssen Hand in Hand mit der ganzen Bevölkerung vorwärtsgehen. Nachfolgend eine kleine, unvollständige Ausschau auf die bis 2021 angelegten Projekte:

  • Uniterre, eine lebendige Bewegung, aktiv und vielfältig, ein Ort für Debatten und Annährungen. Den Kampf für eine gerechte Entlöhnung der ProduzentInnen weiterführen. Insbesondere mit dem Projekt "Faire Milch", das – so hoffen wir – anderen Projekten den Weg öffnen wird.
  • Unsere Ausbreitung in der Deutschschweiz fortsetzen, wo junge Bäuerinnen und Bauern sich begeistert engagieren.
  • Die Isolierung der Bäuerinnen und Bauern bekämpfen und dank von kantonalen UniterreSektionen organisierten Cafés paysans die Beziehungen zwischen den KollegInnen in den Regionen fördern.
  • Sich NGOs und Vereinen annähern, mit de-nen der Kontakt in der Vergangenheit nicht immer einfach war. Ein gehaltvoller Dialog soll
  • gefördert werden.

Wir wünschen uns, dass die Ernährungssouveränität den Samen für eine neue Gesellschaft zum Keimen bringt. Eine gerechtere Gesellschaft, die den Menschen ins Zentrum stellt und es erlaubt, seine Entwicklung mit den Tieren und ihrer Umwelt harmonisch zu gestalten.

Die Menschheit hat grosse Entwicklungen hinter sich: die Entdeckung des Feuers, jene der Schrift, die ersten grossen interkontinentalen Reisen, die industrielle Ära, die sexuelle Revolution oder die digitale Ära, um nur ein paar wenige zu nennen. Und wenn die Ernährungssouveränität der nächste grosse Fortschritt unserer Gesellschaft wäre?

Die Landwirtschaft ist dabei ein wichtiger, zentraler Träger. Warum also nicht hier ansetzen und uns dorthin bewegen, was gestern noch unmöglich erschien?

Sind auch Sie dabei? •


Vanessa Renfer
Bäuerin und UNITERRE sekretärin


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Gemeinsam sind wir stark.

Über der Schweiz weht ein Wind des Protestes. Am 24. September wurde das Gegenprojekt zur Ernährungssicherheit vom Stimmvolk mit 78 % angenommen. Das war ein klares Zeichen der Bürgerinnen und Bürger für den Erhalt der Schweizer Landwirtschaft – sollte es scheinen. Allerdings hat der Bundesrat inzwischen seine "Gesamtschau zur mittelfristigen Weiterentwicklung der Agrarpolitik" herausgegeben, die das Abstimmungsresultat verspottet: Sie verstärkt die Idee, dass die Schweizer Landwirtschaft in den Augen der Politik nur als Tauschware gehandelt wird. Das wird klar, wenn wir beobachten, wie sich der Bundesrat auf die Freihandelsabkommen mit, beispielsweise, den MERCOSUR-Staaten und Malaysia stürzt.

Deshalb erheben sich jetzt wieder die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger, um gegen das angekündigte Opfer des Schweizer Rapsöls zu protestieren sowie dagegen, dass der Bundesrat im Rahmen der Freihandelsverhandlungen mit Malaysia die Augen vor den schlechten ökologischen und sozialen Bedingungen der dortigen Palmölproduktion verschliesst! Sogar der Nationalrat ist besorgt: Im Februar haben 140 ParlamentarierInnen dafür gestimmt, dass die Schweiz die Freihandelsverhandlungen mit Malaysia unterbrechen soll! Ein Votum, das Bundesrat Schneider-Amman sehr bedauert.

Was aber spielt sich da genau ab? Offenbar ist das Stimmvolk mit den Bestrebungen der Regierung nicht auf einer Linie – oder eher umgekehrt. Wir erleben die Geburt eines Grabens zwischen dem Willen der Regierung und demjenigen der Bevölkerung.

Als Antwort auf die Handlungen des Bundesrates werden derzeit viele neue Bürgerbewegungen und Bauernorganisationen gegründet: Allmende in der Deutschschweiz, Mouvement pour la Paysannerie Citoyenne in Genf… Alle diese Bewegungen sind für uns eine Chance, um zu zeigen, dass wir nicht mit der Richtung einverstanden sind, welche unsere Regierung einschlägt ; die sogenannte Gegen-die-Wand-Richtung und die Um-Konsequenzen-kümmern-wir-uns-später-Strategie. Uns wird vorgebetet, dass wir Arbeitsplätze verlieren, wenn wir diese Abkommen nicht unterzeichnen. Und umgekehrt? Wenn die Schweiz diese Freihandelsabkommen unterzeichnet, gehen in der Landwirtschaft noch mehr Arbeitsplätze verloren.

Gemeinsam sind wir stark. Also lasst uns erfinderisch, kreativ und solidarisch sein! Lasst uns unsere Kräfte vereinen, lasst uns Synergien freisetzen, anstatt uns zu verzetteln! Und vor allem: Wir sind nur gemeinsam stark genug, um das Ruder herumzuwerfen.

Dieses Jahr haben wir eine sehr gute Gelegenheit, um gemeinsam in den Kampf zu ziehen: Die Initiative für Ernährungssouveränität! Wir wollen denjenigen nicht länger als Handlanger dienen, die sich nur dem Profit und der Ausbeutung verschreiben. Es liegt in unserer Hand: Sagt JA zur Initiative für Ernährungssouveränität und zur Fairfood-Initiative der Grünen.

Worauf warten wir noch? •︎


Berthe Darras - Uniterre Sekretärin


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