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Wir sind stolz Bäuerinnen zu sein.

Gerade in schwierigen Zeiten wird allen bewusst, wie wichtig gesunde Lebensmittel sind.

Stolz Bäuerinnen zu sein

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Schutz

Sprechen wir über Freihandel. Es geht nie um freien Handel auf Augenhöhe oder gleichberechtigte Handelsbeziehungen, sondern um die Durchsetzung mächtiger Interessen von multinationalen Konzerne und Investor*innen. Bei den geistigen Eigentumsrechten oder beim Saatgut sind sie z.B. hochprotektionistisch, hier bildet das Wirtschaftsabkommen mit Indonesien keine Ausnahme. Den Hintergrund analysiert die deutschen Soziologin Maria Mies treffend: „Diese wachsende Ungleichheit zwischen und innerhalb der Länder ist aber nicht zufällig, sondern ist ein notwendiges Strukturelement der neoliberalen Globalisierung. Diese Ungleichheit ist für die Konzerne das, was sie als „komparative Kostenvorteile“ in ihrer Konkurrenz um die billigste Arbeitskraft und die laxesten Umweltbedingungen nutzen.“ Gemäss Globalisierungskritiker Noam Chomsky wird im Gegensatz zur Ersten die Dritte Welt zur Liberalisierung gezwungen. Mit verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt.
Ein weiteres Kennzeichen ist, dass dabei nach Möglichkeit sämtliche demokratischen Entscheidungsprozesse umgangen werden. Freihandel soll nicht vors Volk und wird völlig instransparent ausgehandelt. Das war beim Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT) der Fall (Beitritt 1966) und bei der World Trade Organisation (WTO) 1995 ebenso. Mit dem Abkommen (CH-Indonesien) wird die Nachhaltigkeit ins Feld geführt und der neue Verfassungsartikel bemüht (Art. 104 d): „grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen“. In der Präambel des Wirtschaftsabkommens sind die Grundwerte der UNO für nachhaltige Entwicklung verankert, ebenfalls Bestimmungen zu Umweltfragen und Arbeitsnormen sowie die nachhaltige Bewirtschaftung des Pflanzenölsektors, um nur einige Punkte zu nennen. Papier ist geduldig! Es fehlen griffige Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten. Wir bevorzugen den Schutz unserer einheimischen Landwirtschaft und einen möglichst weitgehenden Verzicht auf Palmöl, das die Umwelt in Indonesien zerstört und dessen gesundheitliche Risiken bekannt sind.
Mit dem Vorstandbeschluss vom 14. Februar 2020 unterstützt Uniterre das Referendum gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien, das am 20. Dezember 2019 vom Parlament angenommen wurde. Damit wird erstmalig ein Referendum gegen ein Freihandelsabkommen in der Schweiz ergriffen. Viel Zeit bleibt uns allerdings nicht: Einreichefrist ist der 9. April 2020. Jetzt den beigelegten Unterschriftenbogen unterschreiben und auch umgehend zurücksenden. •

Mathias Stalder, Uniterre Sekretär


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Der Wind dreht sich.


Am 23. September 2019 hat die Genossenschaft Faire Milch die Lancierung von Faireswiss gefeiert: Die faire Milch und fünf Weichkäsearten werden nun in allen Filialen von Manor angeboten. Ein Jahr zuvor, auf den Tag genau, haben wir über die Initiative zur Ernährungssouveränität abgestimmt. Auch wenn wir 2018 die Schlacht verloren haben, zeigt uns der sofortige Erfolg der Fairen Milch - eine hervorragendes Beispiel für Ernährungssouveränität -, dass sich die Grenzen verschieben!

Am 11. Oktober 2019 startete Willy Cretigny - Präsident des Schweizerischen Verbandes unabhängiger Winzer und Uniterre-Mitglied - einen Hungerstreik, um die Inkohärenz der Agrarpolitik anzuprangern, die vor allem Importe fördert und gleichzeitig die lokale Weinproduktion schwächt. Und es ist nicht die einzige betroffene Branche: Auch der Getreidesektor, vor allem die Produzent*innen von Brotgetreide, befinden sich in einer schwierigen Phase. Der Artikel "Wer verdient am Brot? " wird die Komplexität des Themas aufzeigen.

Willy Cretigny's Hilferuf hat zur Ausarbeitung eines Manifests an die Adresse vonPolitiker*innen geführt; für dieses Manifest brauchen wir auch Sie! Alles wird auf Seite 6. erklärt.

Am 20. Oktober 2019 erlebten die Grünen und Frauen einen historischen Sieg bei Parlamentswahlen. Selbst wenn dieser Umbruch einige von uns Landwirt*innen erschreckt oder entmutigt, können wir ihn auch positiv gestalten. Und wir werden Lösungen finden, die es uns ermöglichen, Ökologie, Gerechtigkeit und Produktion in Einklang zu bringen. In diesem Sinne haben wir nach lebhaften Diskussionen im Uniterre-Ausschuss endlich zu den Initiativen "Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide" und "Für sauberes Trinkwasser und gesunde Lebensmittel" Stellung bezogen. Ich werde hier nichts verraten. Unsere Argumente finden Sie auf Seite 6.

2019 geht zu Ende. 2020 stellt uns vor große Herausforderungen: die Diskussion über die Agrarpolitik 22+, die derzeit in Unterzeichnung befindlichen Freihandelsabkommen, die Einrichtung des neuen Parlaments oder die Abstimmung über die beiden oben genannten Initiativen, um nur einige zu nennen.

In der Zwischenzeit, auch wenn es noch ein wenig früh ist, wünsche ich Ihnen eine schöne Weihnachtszeit mit Ihren Familien, Freunden und Nachbarn! Auch im Jahr 2020 stehen wir Ihnen bei neue Abenteuern zur Seite!

Berthe Darras, Bäuerin und Uniterre-Sekretärin



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Der Hilferuf von Seiten der Bäuer*innen war gross, als Mitte März klar wurde, dass im Zuge der Covid-19-Krise und den damit einhergehenden Notfallmassnahmen der Regierungen die Grenzen zwischen europäischen Ländern zunehmend dichtgemacht werden. Plötzlich stellte sich die Frage, wer nun das Gemüse erntet und all die harte Arbeit übernimmt, welche normalerweise ausländische Landarbeiter*innen zu Tiefstlöhnen und unter prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen erledigen. Die Schätzungen zu den nun fehlenden Landarbeiter*innen waren enorm hoch: In Italien sollen es rund 370'000 sein, in Frankreich 200'000, in Spanien 100'000 bis 150'000 (1).

Die aktuell zu beobachtenden Debatten und Entwicklungen zeigen jedoch, dass wir uns in dieser Krise als Gesellschaft nur begrenzt den wirklich grundlegenden Fragen stellen und Lehren für die Zukunft ziehen. Vielmehr werden Hauruckübungen praktiziert und Schnell-Pflaster-Lösungen entwickelt, statt dass nachhaltige Massnahmen gegen die Prekarität von in der Landwirtschaft tätigen Personen entwickelt würden. Einmal mehr wird deutlich, wie stark die Art und Weise, wie wir heute Lebensmittel herstellen, auf einer «imperialen Lebensweise» (2) fusst, die nicht nur die Natur, sondern auch Menschen ausbeutet. Im Folgenden zeigen wir dies exemplarisch am Beispiel der Schweiz.

Globalisierter Arbeitsmarkt gerät ins Stocken

Plötzlich waren sie also im Fokus, sie die sonst meist im Verborgenen bleiben, obwohl sie zu einem grossen Teil dafür verantwortlich sind, dass regionales Gemüse auf unserem Teller landet: Die rund 30'000 ausländischen ‘familienfremden’ Arbeitskräfte, die jedes Jahr Tausende von Kilometern aus Ländern wie Rumänien, Polen, Ungarn oder Portugal zurücklegen, um während ein paar Monaten auf Schweizer Feldern zu arbeiten. Häufig kehren sie immer wieder auf die gleichen Höfe zurück und versorgen die hiesigen Bäuer*innen mit ihren informellen Netzwerken und Kontakten zu eigenen Familienmitgliedern oder Bekannten aus dem Dorf verlässlich mit ‘frischen’ Arbeitskräften.

Wie ‘unverzichtbar’ die ausländischen Landarbeiter*innen für die Schweizer Landwirtschaft sind, wurde in vielen Medienberichten deutlich. Dabei standen aber stets die Anliegen der Schweizer Bauern und die Sorge um die frischen Schweizer Spargeln und Erdbeeren in den Supermarkt-Regalen im Vordergrund, während die prekäre Situation der Landarbeiter*innen kaum ernsthaft problematisiert wurde. Ein Bauer aus dem Thurgau liess verlauten: «Momentan hilft es uns sicher, dass die Erntehelfer, die bei uns sind, die eigentlich vorgesehenen Ferien nicht beziehen können, da sie bei einer Einreise nach Polen für 14 Tage in die Quarantäne müssten» (3). Ein anderer Bauer berichtet, dass er wegen den angekündigten Grenzschliessungen «seine» Landarbeiter*innen in Rumänien anrief und bat, sich «unverzüglich» auf den Weg zu machen, woraufhin diese innert 22 Stunden auf dem Hof eintrafen (4). Von den gesundheitlichen Risiken, die sie dabei sowohl auf der Reise (häufig in engen Bussen) als auch in der Schweiz auf sich nehmen, aber auch von den Sorgen um ihre Familienangehörigen, die sie während des «Lockdowns» in den Herkunftsländern zurücklassen müssen, ist nichts zu vernehmen. Hauptsache, die ‘just-in-time’ Versorgung mit billigen Arbeitskräften ist sichergestellt.

Jetzt, wo dieser globalisierte Arbeitsmarkt in mehreren Ländern gleichzeitig ins Stocken gerät, ist auch fraglich, ob der Nachschub mit frischen Tomaten, Auberginen und Erdbeeren in den nächsten Monaten einfach durch Importe aus dem Ausland ‘gelöst’ und die Produktion – wie sonst üblich – ‘ausgelagert’ werden kann. Denn normalerweise dienen innerhalb von Europa Länder wie Italien und Spanien als billige ‘Produktionsstätten’ – auch hier auf dem Buckel ausländischer Landarbeiter*innen. Ein Land wie die Schweiz, das einen Selbstversorgungsgrad von rund 60 Prozent hat (5), profitiert von der Auslagerung eines bedeutenden Teils der Lebensmittelversorgung an solche exportorientierten Produktionsstätten. Doch in der aktuellen Gesundheitskrise fehlen die Arbeitskräfte in der Landwirtschaft überall, auch in diesen Exportländern. So wird bereits prognostiziert, dass in Italien das Gemüse und die Früchte «zu verfaulen» drohen (6).

Von wegen Systemrelevanz!

Die Coronakrise macht deutlich, welche Arbeiten für unsere Gesellschaft essentiell sind. So wird auch die stabile Versorgung mit Lebensmitteln als «systemrelevant» kategorisiert, wofür die Landwirtschaft genauso zentral ist wie die Verarbeitung, die Logistik und der Einzelhandel. Dies ist insofern beachtenswert, weil Tätigkeiten in Land- und Ernährungswirtschaft in Prä-Corona-Zeiten gesellschaftlich keine besonders starke Wertschätzung erfahren haben. Es wird offensichtlich, welches Missverhältnis zwischen der gesellschaftlichen Wichtigkeit dieser Arbeit und der leider weit verbreiteten Praxis der Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte in der Branche besteht – ähnlich wie bei der Pflegearbeit.

«Was am Feld fehlen sind nicht Erntearbeiter*innen, sondern gute Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung, die dieser harten Arbeit entspricht», sagt die Aktivistin Sonia Mélo von Sezonieri, einer Kampagne für die Rechte von Landarbeitern in Österreich. Dasselbe lässt sich auch für die Schweiz sagen: Die Löhne der Landarbeiter*innen sind tief, die Arbeitszeiten enorm lang. Im Kanton Bern etwa beträgt der aktuelle Richtlohn für saisonale Arbeitskräfte 3'330 CHF brutto bei einer Wochenarbeitszeit von 55 Stunden. Die arbeitsrechtliche Situation ist prekär – auch, weil die Landwirtschaft nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt ist. Neben dem ungenügenden rechtlichen Schutz kommt hinzu, dass Landarbeiter*Innen häufig aufgrund mangelnder sprachlicher Fähigkeiten ihre Arbeitsverträge und ihre ihnen eigentlich zustehenden Rechte zu wenig kennen und es ihnen an Möglichkeiten fehlt, diese auch aktiv einzufordern.

Die Prekarität erstreckt sich auch auf gesundheitliche Aspekte: Vielen Landarbeiter*innen ist nicht bewusst, dass sie im Falle von Krankheit und Unfall durch die Kranken- und Unfallversicherung geschützt und finanziell abgesichert wären und dass sie ein Recht auf ärztliche Konsultation haben, ohne einen Lohnausfall zu riskieren. Insbesondere in Zeiten von Corona erscheint dieser Informationsmangel umso eklatanter und zeigt, dass der Bund und die Kantone dringend Massnahmen ergreifen müssen, um für die Landarbeiter*innen den Zugang zu medizinischer Versorgung sicherzustellen. Zudem wären verstärkte Kontrollen nötig, um angemessene gesundheitliche Schutzmassnahmen auf den Höfen zu garantieren – sowohl bei der Arbeit als auch in der Unterbringung.

«Geht auf die Felder den Bauern helfen!»: ‘Inländerpotenzial’ (reloaded)

Und nun? Man sucht händeringend nach Ersatz – wobei sich der Fokus in der Arbeitskräfte-Rekrutierung jetzt verstärkt auf das sogenannte ‘Inländerpotenzial’ verschiebt. Dies ist eine Tendenz, die bereits im Nachzug zur sogenannten SVP-Masseneinwanderungsinitiative im Jahr 2014 beobachtet werden konnte, als vermehrt der Einsatz von Geflüchteten auf Schweizer Höfen gefordert wurde. Damals ist mit der ‘Flüchtlingslehre’ vom Staatssekretariat für Migration und dem Schweizerischen Bauernverband ein Pilotprojekt gestartet worden, um vermehrt Geflüchtete und vorläufig Aufgenommene für die landwirtschaftliche Arbeit zu gewinnen (mit eher mässigem Erfolg).

Nun wird das ‘Inländerpotenzial’ sehr viel breiter adressiert. So hat sogar Bundesrat Guy Parmelin in einem Interview angesichts der erschwerten Einreise von Saisonniers verlauten lassen: «Ich rufe hier alle auf, die Arbeit suchen: Geht auf die Felder den Bauern helfen!» (7) Es gilt, 'brachliegende' Arbeitskräfte-Ressourcen zu aktivieren: Der Ruf nach dem Einsatz der in der Schweiz wohnhaften Personen, welche 'freie Kapazitäten' für einen Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft haben, ist gross und wird medial weitgehend positiv diskutiert. Die Personengruppen, bei denen solch ein Arbeitspotential ausgemacht wird, werden häufig auch als jene dargestellt, die dem Staat und vor allem den öffentlichen Finanzen 'auf der Tasche liegen' würden: Personen, die Erwebslosengeld beziehen oder von der Sozialhilfe unterstützt werden, geflüchtete Personen, Studierende. Unter dem Appell der nationalen 'Solidarität' und der 'Ernährungssicherheit' sollen nun diese Menschen ‘aktiviert’ werden, sprich den Knochenjob von Landarbeiter*innen übernehmen.

Die Mobilisierung von mehr oder weniger freiwilligen «Knochenarbeiter*innen»

Schnell fand sich nun eine umtriebige Koalition von Unternehmern, Landwirtschafts- und Gastronomieverbänden zusammen, um einem marktwirtschaftlichen Modell in der Landwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen, das bereits in vielen anderen Branchen verbreitet ist. So verspricht die Personalverleih-Agentur «Coople», den Landwirt*innen temporäre Arbeitskräfte zu verleihen, die zum Beispiel aktuell in der Gastronomie nicht mehr zum Einsatz kommen können. Die Firma hat sich laut eigenen Angaben zu «Europas grösster Plattform für flexible Personallösungen entwickelt» und verleiht rund 300'000 Personen als flexibles Personal an rund 15'000 Unternehmen in der «Gastronomie, Hotellerie, Einzelhandel, Aviatik, Logistik, Events und Promotion sowie aus dem Kaufmännischen Sektor». «Von der Restaurantküche raus aufs Lauchfeld» (9) – so lautet das Motto. Abgesehen von der Frage, inwiefern sich hier das prekäre Arbeitsmodel der temporären Leiharbeit nun auch in der Landwirtschaft etablieren wird, zögern auch einige Landwirte, ob die so rekrutierten Arbeitskräfte aus anderen Branchen sich bewähren werden. Denn: «Bei den neuen Schweizer Erntehelfern müsse man bedenken, dass sie vielleicht die strenge körperliche Arbeit nicht gewohnt seien und es häufigere Schichtwechsel brauche», heisst es von Seiten des Schweizerischen Bauernverbandes (10).

Unter ganz anderen Bedingungen gelangen jene insbesondere jungen Menschen zu Bauernhöfen, die sich beim Solidaritätsnetzwerk der Plattform «Landwirtschaft mit Zukunft» gemeldet haben (11). Dass sich so viele Freiwillige für die Arbeit in der Landwirtschaft interessieren, ist sicher ein hoffnungsvolles Zeichen. Darin besteht ein Potenzial für neue Strukturen und für ein stärkeres Zusammenkommen von Produzent*innen und Konsument*innen, wie es bereits in zahlreichen Solawi-Projekten praktiziert wird. Doch auch hier stellt sich die Frage, ob sich die fehlenden Landarbeiter*innen aus dem Ausland so einfach ersetzen lassen. Für die Erntearbeit braucht es professionelles Know-how, Erfahrung und vor allem körperliches Durchhaltevermögen. Freiwillige, die sich in Zeiten von Corona für Erntearbeiten melden, werden dies wohl auch selber erfahren.

Auf in eine Zukunft mit Zukunft!

Die eigentlich naheliegende Lösung – den Lohn anzuheben und die Arbeitsbedingungen zu verbessern, wenn diese zu unattraktiv sind – wird bisher in der breiteren Öffentlichkeit kaum aufgebracht. Die Covid-19-Krise riskiert, existierende Ungleichheiten und die Ausbeutung von Mensch und Natur zu verschärfen. Die Krise hat aber gleichzeitig auch das Potenzial, die Relevanz der Arbeit in der Landwirtschaft und den Wert unserer Nahrungsmittel stärker deutlich zu machen. Nun ist der Moment gekommen, um nicht nur über eine andere Landwirtschaft zu reden, sondern diese auch aktiv zu stärken. Wir brauchen demokratischere, gerechtere und ökologischere Ernährungssysteme, die sich der Ernährungssouveränität und der Agrarökologie verpflichten. Eine wachsende Wertschätzung der Landwirtschaft ändert die Verhältnisse noch nicht. Aber es könnte ein Anfang sein, um die Agrarpolitik grundlegend umzukrempeln und Arbeit in der Landwirtschaft zu einer Tätigkeit zu machen, die Menschen unter würdigen Bedingungen ausführen können. Dieser Artikel erscheint im Archipel 5/2020 https://forumcivique.org/publikationen/archipel/.

Von Johanna Herrigel, Sarah Schilliger, Ariane Zangger, Silva Lieberherr (17.4.2020). Die Autorinnen haben die Konferenz «Widerstand am Tellerrand» im Februar 2020 in Bern mitorganisiert und engagieren sich über die Konferenz hinaus für eine sozial-ökologische Wende in der Landwirtschaft - insbesondere für verbesserte Arbeitsbedingungen für migrantische Landarbeiter*innen. In den nächsten Wochen analysieren wir genauer, ob sich in der Schweizer Landwirtschaft im Zuge der Covid-19-Krise neue Rekrutierungsmuster und Anstellungsformate (z.B. über die Personalverleih-Firma «Coople») etablieren, beleuchten die Erfahrungen von und mit solidarischen «Freiwilligen» auf den Schweizer Feldern und fragen nach den Konturen einer sozial nachhaltigen Landwirtschaft über die Post-Corona-Zeit hinaus.

Quellen

1. Lebensmittel Zeitung, 9.4.2020

2. Ulrich Brand/Markus Wissen (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: Oekom Verlag.

3. ThurgauerZeitung, 31.3.2020, «Schweizer als Notfall-Erntehelfer».

4. NZZ, 4.4.2020, «Landwirtschaft am Limit: Wie zwei Zürcher Bauernfamilien mit der Corona-Krise ringen».

5. Agrarbericht 2019

6. Tagesanzeiger, 14.4.2020, «Gestrandet im Mittelmeer».

7. Schweizer Illustrierte, 2.4.2020, «Guy Parmelin über Corona und die Wirtschaft».

8. https://go.coople.com/obst-und-gemuese

9. Aargauer Zeitung, 8.4.2020, «Von der Restaurantküche raus aufs Lauchfeld».

10. Tagesanzeiger, 1.4.2020, «Alle wollen den Bauern helfen».

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Am internationalen Tag des bäuerlichen Widerstands am 17. April 2020 richten die Bäuerinnen und Bauern einen Appell an den Bundesrat: "Genug ist genug! ». Die Ankündigungen von Bundesrat Parmelin vom 1. April 2020, bestimmte Importe zur Bewältigung der aktuellen Krise des COVID-19 zu erleichtern, sind nicht akzeptabel. Während Landwirt*innen und Verarbeiter*innen jahrzehntelang auf dem Altar des kurzfristigen Wachstums und der Tertiärisierung der Wirtschaft geopfert wurden, begünstigt der Staat, wenn das System „die Grippe bekommt“, immer noch den globalisierten Markt und die industriellen Akteure der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie. Die COVID-19-Epidemie hat die Verwundbarkeit des Ernährungssystems aufgezeigt, das seit mehreren Jahrzehnten von der kapitalistischen Marktlogik geleitet wird. Die Misserfolge dieses Modells sind offensichtlicher denn je und gefährden die lebenswichtigen Grundlagen der Gesellschaft. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel.

Es obliegt dem Bundesrat und dem Parlament, aus der aktuellen Krise zu lernen und die Ernährungssouveränität endlich umzusetzen. Indem ein Rahmen geschaffen wird, der einheimische Produktion, kurze Kreisläufe, bäuerliche Landwirtschaft und lokales Handwerk wertschätzt. Die Nahrungsmittelproduktion sollte nicht länger als eine Ware betrachtet werden, die vermarktet werden soll, sondern als die Lebensgrundlage eines Landes, die es ermöglicht, in Zeiten schwerer Krisen und darüber hinaus zu überleben. Die Ernährungssouveränität macht diesen radikalen Wandel möglich.

Aufruf zur Zusammenarbeit der sozialen Bewegungen am 17. April, dem Internationalen Tag der Kämpfe der Bäuerinnen und Bauern.

Dieser Tag ist auch eine Gelegenheit für Uniterre, sich den Bauernbewegungen auf der ganzen Welt sowie den Bewegungen für Klima- und soziale Gerechtigkeit anzuschliessen, um langfristig konkrete und direkte Unterstützung für bäuerliche Landwirtschaft und der kurzen Kreisläufe zu schaffen und die Prinzipien der Ernährungssouveränität jetzt auf nationaler und internationaler Ebene umzusetzen.

Uniterre möchte auch daran erinnern, dass sich der Klimanotstand nicht mit der gegenwärtigen Gesundheitskrise aufgelöst hat und dass die Verwirklichung der Ernährungssouveränität eine notwendige Voraussetzung für die Einleitung des Übergangs zu grösserer sozialer und ökologischer Gerechtigkeit ist. Ernährung und Landwirtschaft geht uns alle etwas an, deshalb übernehmen wir gemeinsam die Verantwortung für unsere Zukunft.

Offener Brief an Bundesrat Parmelin

Pressemiteilung

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Laut der Expertengruppe des UN-Welternährungsrats Committee on World Food Security (CFS) gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass sich die Corona-Pandemie zu einer Welternährungskrise ausweitet. Schon jetzt sind arme Bevölkerungsgruppen besonders betroffen. Darauf weist die Menschenrechtsorganisation FIAN Deutschland hin und sieht die Staatengemeinschaft in der Pflicht, globale Gegenmaßnahmen einzuleiten. Diese müssen nach Ansicht von FIAN vom Welternährungsrat koordiniert werden und das Menschenrecht auf Nahrung muss dabei handlungsleitend sein.

„Schon vor der Corona-Krise verschlechterte sich die globale Ernährungssituation. Die Hungerzahlen stiegen drei Jahre in Folge an. Nun könnte sich die Situation dramatisch verschärfen“, erklärt Roman Herre, FIAN-Agrarreferent, für den sich die Anzeichen für diese Verschärfung mehren: Durch landesweite Schulschließungen in aktuell 165 Ländern verlieren hunderte Millionen Kinder den Zugang zu regelmäßigen Schulmahlzeiten, alleine in Indien über 100 Millionen Schülerinnen und Schüler. Rund zwei Milliarden Menschen weltweit arbeiten im informellen Sektor, ohne Sozial- oder Gesundheitsversicherung. Einkommensverluste durch Ausgangssperren bedeuten für viele, kein Essen mehr kaufen zu können. Lokale Wochenmärkte werden geschlossen; diese sind für Kleinbäuer*innen oder Fischer*innen oft die einzige Möglichkeit, ihre Waren zu verkaufen. Sollten sie sich für Hybridsaatgut und Kunstdünger verschuldet haben, droht ihnen nun eine existentielle Krise; oftmals droht der Verlust von Ackerland und Haus.

Die mittelfristigen Auswirkungen für die globale Ernährungslage sind nach Ansicht von FIAN noch schwer einzuschätzen. Exportstopps – aktuell zum Beispiel der von Reis durch die großen Exportländer Vietnam und Kambodscha – erinnern an die Nahrungsmittelpreiskrise 2007/2008. Beschränkungen und Verzögerungen im globalen Frachtverkehr treffen besonders Nahrungsmittelimportländer sowie Landwirte, die stark von global gehandelten Agrarinputs wie Kunstdünger und kommerziellem Saatgut abhängen. Schon jetzt verschiebt sich laut FIAN in manchen Teilen von China die Aussaat. Zudem verlieren Landarbeiter*innen durch Reisebeschränkungen ihre oft überlebenswichtigen Einkommen; dies kann sich auch in Europa negativ auf den Anbau von Obst und Gemüse auswirken.

Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN Deutschland ergänzt: „Nationale Alleingänge können die globale Ernährungssituation – besonders für arme und von Nahrungsmittelimporten abhängige Länder – verschärfen. Daher ist eine globale Koordinierung der Strategien und Maßnahmen dringend notwendig. Das Mandat dazu liegt beim Welternährungsrat CFS. Dieser muss nun alle Energie für koordinierte, auf dem Menschenrecht auf Nahrung basierende Antworten bündeln.“

Die Europäische Kommission erwartet eine tiefere Wirtschaftskrise als 2009. Vielen armen Ländern Afrikas und vor allem den öffentlichen Haushalten für die Landwirtschaft droht nach Ansicht von FIAN ein Kollaps. Viele Länder sind extrem verschuldet und haben in der Landwirtschaftspolitik – auch durch Anraten und Förderung der Industrienationen – einseitig auf hohe Subventionen von Agrarinputs wie Kunstdünger gesetzt. Fallen die Subventionen in Krisenzeiten weg, sind die Bäuer*innen in einer Verschuldungsfalle gefangen.

Und auch in Deutschland trifft die Coronakrise die Ärmsten und ihre Ernährung: Essensausgaben für Obdachlose sind stark reduziert. 400 Tafeln haben aktuell ihre Nahrungsmittelverteilung eingestellt – für FIAN ein deutliches Zeichen für die Fragilität einer Versorgung über Lebensmitteltafeln.

Ein Artikel aus der Unabhängigen Bauernstimme der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).

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Auch in einer globalisierten Welt handelt jeder Staat in der Krise für sich selbst. Die Anfälligkeit des internationalen Ernährungssystems angetrieben durch Effizienz- und Wertschöpfungssteigerung wird offensichtlicher. Wie sicher ist unsere Lebensmittelversorgung noch? Der Bundesrat hat immer betont, dass von den Grenzschliessungen der Güterverkehr nicht betroffen sei. Was wenn die globalen Warenströme ins Stocken geraten und Lieferengpässe zu erwarten sind?

Exportstopp und Restriktionen

Deutschland hat Anfangs März zur Sicherstellung des „lebenswichtigen Bedarfs“ einen Exportstopp für medizinisches Schutzmaterial erlassen und dadurch unter anderem eine Lieferung von Schutzmasken, die für die Schweiz bestimmt waren, an der Grenze gestoppt. Zudem hat Emmanuel Macron für Frankreich alle Atemschutzmasken beschlagnahmt. Das haben auch Spitäler in der Westschweiz zu spüren bekommen. Markus Häfliger, Bundeshausredaktor der Tamedia, schreibt der deutsche Exportstopp droht sich zum eigentlichen Handelsembargo gegen die Schweiz auszuweiten (Tagesanzeiger vom 11.3.20). Trotz Freihandelsabkommen unterstützte die EU die restriktive Haltung gegenüber der Schweiz. Erst als sie erkannte, dass die Schweiz über Medizinaltechnik verfügt, die in der EU benötigt wird, deren Lieferung aber dann im Gegenzug theoretisch ja ebenfalls unterbunden werden könnte, krebste sie zurück. In den vergangenen Wochen haben 55 Länder die Grenzen für medizinische Güter dichtgemacht. Hermann Dür, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft (SVIL) kommentiert die Situation wie folgt: «Die derzeitigen Erfahrungen deuten darauf hin, dass Recht und Goodwill aus früheren Leistungen in der Not nur noch beschränkte Wirkung haben. Es wäre schwer zu begründen, warum das bei Nahrungsmittel anders sein sollte.»

Ernährungssicherheit in der Schweiz

Die Ernährungssicherheit wird am Selbstversorgungsgrad gemessen, dieser lag gemäss Agrarbericht 2019 bei 50% in 2017. Die Schweizer Landwirtschaft ist in hohen Masse abhängig von Dünger-, Saatgut- und fossilen Brennstoff-Importen. In der Bundesverfassung steht, dass im Fall «machtpolitischer oder kriegerischer Bedrohungen sowie in schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selbst zu begegnen vermag» sicherzustellen ist, dass die Landesversorgung funktioniert. Deswegen betreibt der Bund Pflichtlager mit Zucker, Reis, Weizen und Weiteres für einen drei bis vier monatigen Bedarf. «Solange der Import läuft, gibt es keine Engpässe. Sollt sich das ändern, gibt es für Produkte wie beispielsweise Fette, Öle, Eier oder Zucker mit tiefem Selbstversorgungsgrad rasch Schwierigkeiten». Sagte Bauernpräsident Markus Ritter gegenüber dem Schweizer Bauer vom 21. März 2020.

Im 2007 gab es schon einmal einen Exportstopp in 40 Länder aufgrund der schlechten Ernte. Der Bundesrat argumentierte jedoch, dass mit Verboten von Exportrestriktionen und Exportzöllen die Importmöglichkeit ausländischer Nahrungsmittel abgesichert werden könne. Diese Haltung des Bundesrates kritisiert Hermann Dür, Unternehmer in der Lebensmittelindustrie und der Logistk. Er betont, «dass 1) Macht- und Souveränität mit Agrarfreihandelsabkommen zusammenhängen können. - Warum? Grundnahrungsmittel sind für die ganze Bevölkerung unverzichtbare und daher sensible Güter. Wer die Verfügungsgewalt über Nahrungsmittel hat, hat Macht über Andere. 2) Soweit Agrarfreihandel die Inlandproduktion durch Importe ersetzt, können Grundnahrungsmittel zu einem gewichtigen souveränitätspolitischen Pfand zu Lasten des Importeurs werden. 3) Dabei gilt: Je höher die Importabhängigkeit bei Grundnahrungsmittel ist (je tiefer also der Selbstversorgungsgrad), desto glaubwürdiger können Nahrungsmittel im internationalen „Powerplay“ eingesetzt werden. 3) Als Durchsetzungsintrumente kommen erfahrungsgemäss a) effektive Lieferunterbindung oder – heute wahrscheinlicher - b) Erpressung damit (via schwarze Listen, vage Andeutungen, Guillotineklauseln, etc.) in Frage.»

Macht sich die Schweiz erpressbar?

Zudem betont Hans Bieri, Geschäftsführer des SVIL, dass an der Pressekonferenz des Bundesrates vom 20. März 2020 auch das Thema „Transit“ von lebensnotwendigen Gütern (z.B. Schutzmasken, Desinfektionsmaterial) nochmals angeschnitten worden ist. «Es verstimmt, dass Frau Sommaruga gemäss ihrer Aussage von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen keine klare Anwort für ein Ja erhalten hat. Dies zeigt auf, dass sich die EU unschlüssig ist, ob sie der Schweiz aufgrund der bilateralen Verträge diesbezüglich die gleichen Rechte zukommen lassen will». Mit dieser Haltung der EU ist die Schweiz in einer Situation, in welcher sie sich erpressbar macht. Laut Bieri ist bereits dieses Zögern auch bei einem späteren Ja als Alarmsignal für alle weiteren Verhandlungen der Schweiz mit der EU bezüglich eines Rahmenabkommen zu werten!

Folgen im Inland von «ausserordentlicher Lage» für die Bauern

Seit der Bundesrat beschlossen hat, dass alle Bauernmärkte nicht mehr stattfinden können, bricht für viele Bäuerinnen und Bauern ein wichtiges Einkommensstandbein weg. Hinzu kommt, dass viele eingelagerte Produkte nicht mehr verkauft werden können. Daher hat der Verein der Berner Märkte einen offenen Brief an Bundesrätin Sommaruga geschrieben. Es sei nicht gerechtfertigt, dass die Grossverteiler noch offenbleiben, aber die Märkte schliessen müssen. Wenn die Richtlinien des Bundes eingehalten werden können, sollte es möglich sein, auch an einem Markt ohne höheres Verbreitungs-Risiko der Corona-Viren einzukaufen. Kopfzerbrechen bereiten auch die geschlossenen Grenzen die die Einreise von den tausenden von Erntehelfer*innen nicht garantiert. Wie Philipp Bösiger, Geschäftsführer der Bösiger AG aus Niderbipp, einem der grössten Gemüseproduzenten der Schweiz, gegenüber der NZZ sagte: «Fehlt das nötige Personal, können wir die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht aufrechterhalten».

Welche Lösungsansätze gibt es?

Die Schweiz hat seit 1918 keine Hungersnot mehr gehabt. Damit ist unser Risikobewusstsein nicht mehr präsent. Da die AP22+ gerade in Bearbeitung ist, wäre es sinnvoll, wie Hermann Dür betont, folgende Anpassungen zu gewährleisten: «Wir brauchen eine Agrarpolitik, die 1. unseren Selbstversorgungsgrad sicher nicht noch weiter reduziert, die 2. für Landwirte echte finanzielle Anreize schafft, um in der Schweiz zu produzieren (was den Kürzungen von Direktzahlungen entgegensteht), 3. die davon ausgeht, dass Dritte nicht immer Nahrungsmittel für uns zur Verfügung haben, und dass 4. diese nicht immer störungsfrei aus dem Ausland angeliefert werden können. Die bittere Wahrheit ist: Wir brauchen eine starke schweizerische Agrarpolitik für eine Welt, in der leider nicht immer alles funktioniert! »

Die Schweiz braucht offene Grenzen. Jedoch sollte die Strategie des Agrarfreihandels überdacht werden. Wenn wir das Konzept der Ernährungssouveränität besser umsetzten würden, hätten wir eine standortgerechte regionale Landwirtschaft, welche gesunde Nahrungsmittel für die Bevölkerung produziert und auch im Krisenfall robust dasteht, so dass wir uns nicht erpressbar machen.

Martina Brun, studierte Ökologische Wirtschaft und Politik, arbeitet aktuell auf einem Bio-Betrieb und engagiert sich in der Sektion Luzern von Uniterre.

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17. April 2020 – Aufruf zur Mobilisierung von La Via Campesina – Internationaler Tag des kleinbäuerlichen Widerstands.

Am 17. April wird sich La Via Campesina am Internationalen Tag des kleinbäuerlichen Widerstands beteiligen, um erneut auf die historische Rolle der Kleinbäuer_innen für die Gesellschaft und ihre fundamentale Bedeutung als Ernährer_innen der Bevölkerung in Zeiten von Krieg, Faschismus, Autoritarismus und Pandemien aufmerksam zu machen.

Covid-19 hat die Welt lahmgelegt. Der tödliche Virus offenbart die Verwundbarkeit des derzeitigen globalen Ernährungssystems, das von der industriellen Landwirtschaft dominiert wird sowie die Gefahren, die es für alle Lebensformen darstellt. Wir sollten aus dieser Krise lernen und in den Aufbau eines lokalen, widerstandsfähigen und vielfältigen Ernährungssystems investieren. Staaten müssen damit beginnen, die Implementierung von Ernährungssouveränität mittels agrarökologischer Produktion umzusetzen und durch weit verbreitete Agrarreformen zu ermöglichen.

Diese außerordentlichen Umstände, mit denen sich die Menschheit heute konfrontiert sieht, erfordert von den Staaten, die Rechte von Kleinbäuer_innen und allen anderen in der Landwirtschaft tätigen Personen, wie in der Deklaration der Vereinten Nationen im Jahr 2018 dargelegt (UNDROP), gerade jetzt besonders zu schützen und zu garantieren.

Lasst uns Solidarität aufbauen!
In der Woche des 17. Aprils wird La Via Campesina erneut die Gefahren des Kapitalismus und seine verheerenden Folgen – politische, soziale, ökonomische und jene der Gesundheitskrise – aufzeigen. Die Lage der bereits ausgebeuteten städtischen und ländlichen Arbeiterklasse wurde durch die Ausbreitung des COVID 19 und den darauffolgenden ökonomischen Nachwirkungen prekärer als je zuvor. Daher müssen wir diesen Moment nützen, um uns zu wehren, Solidarität zu schaffen und Bündnisse zwischen verschiedenen Klassen der ländlichen und städtischen Gebiete ins Leben zu rufen.

Allianzen zwischen den gefährdeten Bereichen der Gesellschaft, den kleinen Lebensmittelhersteller_innen und Konsument_innen müssen gebildet werden, um fairen Handel und gesunde Lebensmittel zu fördern. Während dieser Krise müssen wir die profitgesteuerte Expansionspolitik der transnationalen Unternehmen aufdecken und anprangern.

So, wie wir es vor 24 Jahren in Eldorade dos Carajás gemacht haben –mit einer Stimme des Widerstands und indem wir unseren langjährigen Kampf weiterhin am Leben erhalten haben. Wir – die Kleinbäuer_innen, Indigenen, Nomad_innen, Fischer_innen, in der Landwirtschaft Tätigen, Migrant_innen, Personen, die aufgrund ihrer Hautfarbe unterdrückt werden und die organisierte Arbeiter_innenklasse – denunzieren das Schwinden unserer Rechte als Arbeiter_innen, unser Recht auf Gesundheit und Bildung. Wir kämpfen gemeinsam, um das System von Gewalt, Militarisierung und Unterdrückung, das auf unsere Mitmenschen ausgeübt wird, und die stetige Entwertung der demokratischen Prinzipien, zu verurteilen. Diese Pandemie ruft uns in Erinnerung, dass es ein robustes Gesundheitssystem benötigt, welches innerhalb der letzten Jahre von den Regierungen sukzessive durch Privatisierung zerstört wurde. Auch wurden die wahren Gesichter der Profitgier – dem Agrobusiness, pharmazeutischen Unternehmen und anderen transnationalen Firmen offenbart, die versuchen, aus diesen schwierigen Zeiten Möglichkeiten für ihr eigenes Business zu schöpfen.

Währenddessen setzen Millionen von uns kleinen Lebensmittelhersteller_innen die Produktion für die Ernährung der Menschheit fort, garantieren einen aufrechten nationalen Lebensmittelvorrat und Ernährungssouveränität. Wir arbeiten trotz der Quarantänebedingungen, geschlossener Grenzen und Ausgangssperren unter respektvollem Umgang gegenüber der Natur und Biodiversität und mittels agrarökologischer Produktion weiter. Für uns hat das Leben unseres Bodens und der Mutter Erde höchste Priorität und engagieren uns auf kleinen bäuerlichen Märkten basierend auf Solidarität und Gegenseitigkeit, frei von Gift und Spekulationen.

COVID 19: Kleinbäuer_innen, Migrant_innen und ländliche Arbeiter_innen in Gefahr
Als La Via Campesina sind wir um die Lage von Landarbeiter_innen und migrantischen Arbeiter_innen besorgt, die unter prekären Arbeitsverhältnissen und ohne adäquaten Zugang zum Gesundheitssystems oder wichtige Schutzmaßnahmen tätig sind. Mitglieder von La Via Campesina in Asien, Afrika, Europa und Amerika fordern ihre Regierungen zu schnellem und verantwortungsvollem Handeln auf, um die Bedürfnisse der breiten Mehrheit zu stillen, und nicht lediglich einen Anreiz für Coronavirus-Kapitalist_innen zu schaffen. Wir wollen keine ökonomischen Maßnahmen, die den Eliten zugutekommen, wie es bereits in der Vergangenheit durch die Rettung der Banken und des Handels geschehen ist, um die „Wirtschaft zu retten“. Wir fordern Gerechtigkeit für die (Klein-) Bäuer_innen und Unterdrückten dieser Welt. Daher rufen wir alle unsere Mitglieder und Verbündeten dazu auf, sich im Kampf gegen alle Formen des Opportunismus in dieser globalen Krise am 17. April zu mobilisieren.


#StayHomeButNotSilent (#BleibtDaheimAberNichtLeise)–

Wir rufen auf zu kreativen Mobilisierungen
Ein Moment der Krise, wie wir ihn gerade erleben, hebt hervor, wie wichtig der Zusammenhalt zwischen uns Menschen ist. Wir sind viel stärker miteinander verbunden, als uns das brutale ökonomische System glauben lässt. Um unsere Gesundheit und die Integrität unserer Mitglieder, Freund_innen und Verbündeten zu schützen, wollen wir nicht zu Landbesetzungen, Demonstrationsmärschen, öffentlichen Reden und Foren oder Filmvorführungen am 17. April 2020 aufrufen.

ABER:

  • Bleibt daheim und versprecht, nicht still zu bleiben. Jetzt ist es Zeit, um kreative Kämpfe und Mobilisierungen von unseren Grundstücken und Häusern auszutragen.
  • Last uns die Fenster, Terrassen, Gärten und Felder in Demonstrationsareale umwandeln und unsere Töpfe und Pfannen in Trommeln des Widerstands.
  • Lasst unsere Wände mit Bannern sprechen, um unsere unaufhörliche Stärke und den Widerstand inmitten des Krisenszenarios zu zeigen und kapitalistische Hegemonie anzuprangern.
  • Lasst uns Solidarität schaffen, überlegen, wie diese mit der Gemeinde, der Nachbarschaft und Freund_innen geteilt und den gefährdetsten Menschen geholfen werden kann.
  • Fordern wir alle auf, Lebensmittel von lokalen Kleinbäuer_innen und ihren Kooperativen, und nicht von transnationalen Unternehmen, zu konsumieren. Geht zu den lokalen Märkten, kauft direkt vom Produzent_innen und lokalen Geschäften und sprecht euch für humanistische Werte aus.

Seid Teil der Bewegung und kommuniziert es auf den sozialen Netzwerken! Macht Videos, Fotos oder Audioaufnahmen, um zu zeigen, dass wir weltweit vereint kämpfen! Wir ziehen gemeinsam an einem Strang.

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Danke geht an unsere Schwesterorganisation ÖBV-Via Campesina Österreich für die deutsche Übersetzung.




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Mitte März 2020 verbot der Bundesrat in der Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus die Wochemärkte. Ein einzelner Lebensmittel-Marktstand bleibt den Lebensmittelläden aber gleichgestellt und kann betrieben werden. Uniterre und das Netzwerk für die Wiedereröffnung der Märkte stellt hier jetzt einen Modellbrief für eure Gemeinde zur Verfügung.

Dank dem beherzten Engagement der Zivilgesellschaft sowie Uniterre konnte erreicht werden, dass die Gemeinde La Chaux-de-Fonds ihren Markt am 8. April 2020 wieder öffnete, über mehrere Strassen verteilt, auf 10 Stände limitiert und täglich geöffnet. Auch der Kanton Neuchâtel, Genf, Fribourg und die Stadt Basel und Lausanne ziehen nach.

Helfen Sie mit, damit Ihr Markt bald wieder öffnen kann. Mit der Schliessung der Märkte bricht ihnen ein wichtiges Einkommensstandbein der Landwirt*innen weg. Ein Anrecht auf Erwerbsausfall gibt es nicht! Wir machen uns weiter stark für die Wiederöffnung der Märkte.